von süss bis ungeniessbar

30 Jahre Cristina

Unser Tochterkind wird 30 Jahre alt. Kaum zu glauben. Erst noch war sie eine kleine Stöpseline, die auf dem Kuchen das 1. Kerzlein ausgepustet hat. Und jetzt ist sie eine junge Frau, 2-fache Mama und eine unglaublich starke Persönlichkeit.

Mit Stolz kann ich sagen, dass wir zwei wunderbare Menschen unsere Kinder nennen dürfen. Und beide haben sowohl Gene von mir, als auch vom Papa mitbekommen. Manche sichtbar, andere spürbar.

Cristina war als kleines Kind sicher, dass der Papa alles reparieren kann. Egal wie kaputt etwas war (auch gefühlt 1000 Scherben) – sie brachte es zu Papa und flötete: „Flicke bitteeeeee!“

Das unterschütterliche Urvertrauen in die Superkraft des Papas blieb – bis zum Schluss. Und deshalb bin ich mir sicher, dass er heute besonders fest um das Tochterkind rumschwirrt – schliesslich will er gratulieren.

Als Eltern weiss man nie, was aus den kleinen Hosenscheissern einmal wird. Man steht begründete Ängste aus, dass sie an die falschen Menschen geraten oder den falschen Weg einschlagen könnten. Wir hatten Glück.

Aus der kleinen Trulla, die immer schon einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hatte, wurde eine engagierte und äusserst kreative Frau, die sämtliche Talente der Grossmutter in die Wiege gelegt bekam. Sie kann nähen, kochen, backen, malen und einfach alles, wofür man kreativ sein muss, gelingt ihr. Ich könnte bluffen und sagen, dass sie das von mir hat – das wäre aber GELOGEN. Nichts von all dem kann ich. Wie gut, dass das Tochterkind nur über die Strasse wohnt – dann kann ich immer mal wieder von diesem Talent profitieren und mitessen.

Liebes Tochterkind,
Ich bin stolz darauf, Deine Mama sein zu dürfen. Auch wenn Du mich als Pubertier schier in den Wahnsinn getrieben hast – es hat sich gelohnt. Das Resultat ist wunderbar und ich danke Dir für alles, was Du immer wieder für mich machst.
Die Umarmung von mir wird heute besonders fest – vielleicht ist dann noch ein bisschen Paps-Energie mit dabei.

Happy birthday – ich liebe Dich.

Allein unter vielen

Lieber Göttergatte

Weisst Du noch, wie Du mir – aufgrund unserer begrenzten gemeinsamen Lebenszeit – immer gesagt hast, dass ich niemals alleine sein werde? Nun, da hattest Du zwar recht … und doch stimmt es eben nicht so ganz.

Ich habe meine erste Einladung an ein mittelgrosses Fest alleine absolviert. Es hat sich sehr ungewohnt angefühlt. Zum ersten mal habe ich erlebt, wie es sein kann, wenn man sich inmitten von vielen Menschen alleine fühlt. Ich sage nur:

Das 5. Rad am Wagen!

Ja, das gibt es also tatsächlich. Ich habe mir das vorher nicht vorstellen können, weil ich doch immer Deine sehr selbständige Frau war. Keine Angst, meine Selbständigkeit habe ich nicht verloren. Aber das undefinierbare Gefühl des Alleinseins, selbst wenn da viele Menschen um einen versammelt sind – das ist neu. Auch wenn ich früher oft ohne Dich irgendwo zu Besuch war, so hat es sich anders angefühlt. Warum?

Ich glaube, dass es daran liegt, dass die Menschen mir anders begegnen als früher. Sie wissen nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollen.
Umarmen?
Die Hand schütteln?
Kondolieren?
Mitleidig gucken?

Und diese Unsicherheit provoziert für mich völlig unbekannte Schwingungen. Man schiebt mir einen Stuhl an den Tisch, klopft auf die Sitzfläche und fordert mich mit mitleidiger Stimme auf, mich doch dazuzusetzen. Ich fühle mich dabei, als ob ich eine Behinderung haben müsste. Damit kann ich schlecht umgehen.

Kannst Du Dir vorstellen, dass die Leute nicht wissen, was sie zu mir sagen sollen und mich dann einfach schweigend anstarren? Ich habe mir das nicht vorstellen können – aber es passiert! Ergo: Ich ergreife bei gefühlt JEDEM Gespräch die Initiative, um den Menschen die Angst zu nehmen, etwas Falsches zu sagen. Das ist ganz schön anstrengend.

Aber: Du kennst mich und weisst, dass ich nicht aufgeben werde. Ich werde nicht zulassen, dass ich mich behindert fühlen muss, weil die Mehrheit der Menschen mit der Tatsache überfordert ist, dass da eine Frau kommt, die ihren Mann gerade erst verloren hat. Ich weiss, was Du jetzt sagen würdest: „Ich verstehe diese Leute – ich wüsste auch nicht, wie ich mich verhalten soll.“

Und deshalb ergreife ich also einmal mehr die Initiative:

Liebe Leute da draussen: Das ist KEIN Vorwurf! Ich weiss, dass ich zu den Ausnahmen zähle, wenn ich sage, dass ich kein Problem damit habe, das Sterben und den Tod schonungslos zum Thema zu machen und deshalb auch ungezwungen auf Menschen zugehen kann, die gerade einen Verlust erlebt haben. Aber ich möchte euch ermutigen, mich genauso zu behandeln, wie ihr mich immer behandelt habt. Ich bin nämlich immer noch dieselbe wie vorher. Auch wenn mein Herz manchmal sehr schwer ist, so lache ich nach wie vor gerne und laut. Ich habe meinen rabenschwarzen Humor nicht verloren und auch meine Lebensfreude ist noch da.

Drum: Alles ist besser als dieses undefinierbar schräge Mitleid. Das fühlt sich für mich immer so an, als ob man mich in Watte packen und mit Samthandschuhen anfassen möchte. Und das ausgeprägte „Jööööööööö …..“ mit dem dazugehörenden Hundeblick, das gibt mir noch den Rest. Dann fühle ich mich noch 30 Zentimeter gross und habe den Eindruck, nicht mehr ernst genommen zu werden. Tut das bitte nicht … ich kann damit umgehen, dass ich künftig alleine durchs Leben gehen werden – mal besser, mal weniger gut. Aber Mitleid ist nicht das, womit ich umgehen kann. Gar nicht!

Übrigens: Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid.

1. Lehrjahr

Seit dem 18. Januar 2025 bin ich nun alleinstehend. Ja, ich weiss – gemäss Formularen bin ich verwitwet – aber mir gefällt dieses Wort nicht. Ich nenne es also alleinstehend!

Ich muss gerade sehr viel Neues lernen. Es gibt Dinge, die fallen mir leichter als andere.

Learning 1 – Der Kühlschrank muss neu sortiert werden. Das braucht nach sovielen Jahren des Zusammenlebens grad ein Weilchen, um das zu realisieren.

Learning 2 – Der Denkapparat muss nur noch für mich laufen. Ich brauche nicht mehr „für meine andere Hälfte“ mitzudenken. Gar nicht so einfach!

Learning 3 – Unerwartete Heulkrämpfe gehören zum neuen Normal. Auch wenn ich sie nicht sonderlich mag …

Learning 4 – Eine saubere Planung ist schwierig – der Gemütszustand grätscht manchmal dazwischen.

Learning 5 – Hilfe anzunehmen ist nicht zwingend eine Schwäche. Das muss ich grad intensiv lernen – ungewohnt!

Learning 6 – Tage, an denen man sich einfach bescheiden fühlt und im Selbstmitleid versinkt, dürfen Platz haben. Der Funktionsmodus muss nicht ständig auf 100% stehen.

Learning 7 – Die meisten Menschen wissen nicht, wie sie mit einer „neu Alleinstehenden“ umgehen sollen. Das ist NICHT mein Problem, sie dürfen es gerne behalten.

Learning 8 – Auf meiner Prioritätenlisten darf ich auf Platz 1 stehen. Ohne schlechtes Gewissen.

Meine bislang anspruchsvollste Lehre, die ich je gemacht habe. Und das mit 57 Jahren und ohne dabei einen Abschluss in Aussicht zu haben.
Ich versinke war immer wieder mal im Tränenmeer – unterm Strich werde ich aber mental täglich stärker.

Ich muss gestehen, dass ich den Hut ziehe vor allen Menschen, die diesen Lehrgang erfolgreich schon ein- oder mehrmals im Leben absolviert und dabei immer wieder den Boden unter den Füssen gefunden haben. Das ist wahrlich eine der anspruchsvollsten Leistungen. Und wer nun denkt: „Wow, zum Glück ist mir das noch nie passiert“, der sollte sich ganz schnell bewusst machen, dass es uns alle irgendwann trifft. Jeder muss irgendwann einen oder mehrere geliebte Menschen ziehen lassen. Und das ist die Meisterleistung schlechthin.

Eines habe ich nämlich im ersten Lehrjahr jetzt schon fix gelernt: Festhalten ist einfacher als Loslassen.

TOI TOI TOI

Happy birthday kleiner Bruder

Seit ich denken kann, fühle ich mich als die „alte Schwester“. Keine Zahl konnte je etwas daran ändern. Schliesslich bin ich knapp 8 Jahre älter als mein Bruder. Und jetzt? Jetzt wird alles anders!!!

Mein kleiner Bruder kommt heute endlich im Club der 50-jährigen an – und da ich auch noch in den 50-igern bin, fühle ich mich gerade nicht mehr ganz so alt.

Alles Gute und noch vielmehr wünsche ich Dir, kleiner Bruder.

Wir sind Geschwister, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Und das ist total okay so!

Früher warst Du der Wilde, Ungestüme und ein Dauerquerschläger. Ich war die Ruhige, Besonnene und Angepasste. Und irgendwann hat sich das gedreht. Keine Ahnung, wann das passiert ist. Fakt ist aber: Heute bist Du der Besonnene, Ruhige und pragmatisch Denkende. Ich bin die Ungestüme mit der grossen Klappe, die nicht selten spricht, bevor sie denkt – und die das mit Abstand grösste Dokumentenchaos der Welt beherrscht! Bei Dir herrscht Ordnung. Früher sah das gaaaaaaanz anders aus!!

Haben die Leute früher Prognosen zu unserer Zukunft abgegeben, wurdest Du nicht selten zum „hoffnungslosen Fall“ erklärt, weil Du so gar nicht in der Spur laufen wolltest. Und mir wurden Dinge vorausgesagt, die nicht einmal ansatzweise eingetroffen sind. Heisst: Ich habe also keine grosse Schriftstellerkarriere gemacht und ich kann auch nicht mit Uni-Abschlüssen glänzen, obwohl das alle dachten.
Stattdessen hast Du eine Bilderbuchkarriere gemacht, die Du Dir hart erkämpft und auch verdient hast. Gut gemacht, kleiner Bruder!!!

Unsere Talente lagen immer schon Galaxien auseinander. Heute bin ich froh drum – nicht selten nehme ich den Hörer zur Hand, wenn ich mal wieder an einer Vertragsfloskel scheitere oder eine Erfolgsrechnung nicht richtig deuten kann.

Besonders lustig finde ich immer wieder die Tatsache, dass wir auch mit unseren Kindern quasi einen Generationensprung vollzogen haben. Du bist Papa dreier Pubertiere – ich habe schon lange erwachsene Kinder und bin Oma zweier Enkelkinder, die schon den Kindergartenweg unter die Füsse nehmen.

Jup, wir haben beide dem Plan der anderen noch nie entsprochen – aber unserem eigenen dafür. Gut gemacht, Bruderherz.

Happy birthday!

P.S.: Das Bild entstand übrigens einmal bei einem Bräteln mit meinen Kollegen an der Aare, als Du wieder „ums Verrecke“ mitkommen wolltest. #kleinerBruderimSchlepptau

Der Geruch von Kaffee …

… wenn man morgens aus dem Bett krabbelt – der war wunderbar. Und mir war nie klar, wie wichtig solch vermeintlich unwichtige Dinge sind.

Seit genau diese Dinge fehlen, realisiere ich, wie „leer“ ein Zuhause sich anfühlen kann. Es roch jahrelang nach Kaffee, wenn ich aufgestanden bin – weil der Göttergatte der Frühaufsteher war bei uns. Jetzt riecht es nach …. NICHTS. Und auch wenn unsere Heizung läuft, schlagen mir gefühlt Minusgrade entgegen, wenn ich die Schlafzimmertüre öffne und durchs Treppenhaus in die Küche gehe.

Es sind 1000 kleine Dinge, deren Fehlen auf einmal unsäglich schmerzen:

  • der Geruch nach frischem Zopf aus dem Ofen (obwohl der weltbeste Tinu immer für mich backt).
  • das morgendliche Schneuzen, das mich manchmal fast aus den Hausschuhen geblasen hat.
  • das Rascheln der Zeitung, um die sich der Göttergatte jeden morgen mit unserem Kater gezofft hat.
  • das gemeinsame Zähneputzen in unserem Badezimmer – ich schaffe es nicht, die Zahnbürste wegzuräumen.
  • das genervte Schnaubgeräusch, wenn ich mal wieder den Geschirrspüler nicht im Göttergatten-System eingeräumt hatte.

Ja, sogar Dinge, die vorher genervt haben, fehlen auf einmal. Das Gehirn spielt mir da offenbar einen Streich. Oder es sind eben doch lieb gewonnene Gewohnheiten, die halt im Verlaufe der Jahrzehnte manchmal genervt haben.

Ich habe manchmal das starke Bedürfnis, aufzuräumen – nach dem Motto:

„Was ich nicht mehr seh, tut nicht mehr weh!“

Trugschluss! Es ist zwar ein grosser Bestandteil des Loslassens und der Verarbeitung, wenn man Dinge wegräumt, die nicht mehr gebraucht werden. Es gibt aber für alles eine Zeit im Leben. Und nur weil man aufräumt, tut es danach nicht weniger weh. Die Erinnerungen sind nämlich alle im Herzen. Und nur dort!

Sie sind nicht in der Urne, nicht in Schubladen, nicht in Ordnern oder Kisten – dort sind nur die Trigger, die unsere Erinnerungen wieder ankurbeln. Die wahren Erinnerungen sind warm verpackt im Herzen – und dort ist es auch, wo es sich so leer anfühlt, wenn eben am Sonntagmorgen wieder einmal der Duft vom Kaffee fehlt …

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