von süss bis ungeniessbar

Jahrestag der Krebsdiagnose

Der 12. November 2016. Der Tag, der unser Leben für immer verändert hat.

Heute schreiben wir den 12. November 2024 – das bedeutet, dass wir heute ins 9. Überlebensjahr nach der Diagnose „unheilbar“ starten.

Zugegeben, die Ausgangslage war schon besser, als sie es aktuell gerade ist. Der ungebetene Gast hat beschlossen, sein Zuhause im Körper meines Göttergatten auszuweiten und uns damit Steine in den Weg zu legen, die leider sehr gross und schier nicht zu bewältigen sind.

Tatsache ist aber: Wir nehmen den Kampf ein weiteres mal auf – allerdings nicht blauäugig, sondern im Wissen, dass die Luft noch dünner wird. Wir hadern, die Tränen laufen und wir sind verzweifelt, wie jede Familie, die so etwas erlebt. Aber wir rücken noch näher zusammen, erarbeiten Strategien und wägen ab zwischen dem schmalen Grat, der zwischen Leben und Sterben verläuft.

Der Göttergatte entscheidet sich einmal mehr für eine weitere Runde Kampf, um noch mehr Erinnerungen sammeln zu können. Wir stützen und sammeln mit! Denn auch bei allem, was an dieser Krankheit schrecklich, hässlich und unerklärlich ist, so schauen wir aktuell auf 8 Jahre zurück, die NIEMAND je erwartet hätte. Die Mediziner verstehen es als „Wunder“ – der Göttergatte benennt es mit „meine eigene Statistik“. Wir als Familie nehmen es als geschenkte Zeit.

Geschenkte Zeit, die wir mit allem gefüllt haben, was ging. Wir schauen nicht zurück, um all die harten und schrecklichen Ereignisse nochmal durchzugehen. Wir schauen zurück im Wissen, dass wir so verdammt viel schöne Momente, Ereignisse, Erfahrungen und Glückszeiten sammeln konnten.

Und das werden wir in der nächsten Zeit genauso weiter versuchen. Auch wenn die Steine nun grösser sind, die uns im Weg liegen – dann fahren wir halt die Bagger auf. Solange der Göttergatte den Weg sieht, solange gehen wir ihn gemeinsam. Und wir feiern das Leben jeden Tag ein kleines oder grösseres Bisschen.

Was wir bis hierhin als Familie geschafft haben, ist auch für uns manchmal kaum fassbar. Und unser Netz an Menschen, die uns dabei stützen und mittragen, ist unglaublich.

Dafür sind wir dankbar und nehmen die nächste Runde in Angriff. Immer im Wissen, dass das Leben sehr zerbrechlich, aber einfach auch schlicht wunderbar sein kann.

Offen – ehrlich – hilfsbereit

Es gibt Menschen, deren Leben verläuft gefühlt einfach immer schön geradeaus und ohne grosse Achterbahnfahrten. Denkt man. Vermutlich ist aber so, dass es diese Wundermenschen gar nicht gibt. Es ist einfach in unserer Schweizer DNA, über unschöne Dinge zu schweigen. Ganz oben sind dabei Krankheiten oder der Tod. Bloss nicht ansprechen – könnte traurig und tränenreich sein.

Ich sage: Totaler Blödsinn. Es gibt nichts schlimmeres als das grosse Schweigen. Es lässt verzweifelte Menschen noch verzweifelter werden. Sie fühlen sich alleine und unverstanden, weil sie immer glauben, mit ihrem Schicksal alleine zu sein. Dabei wäre es so einfach. Aber offene und ehrliche Kommunikation scheint nach wie vor etwas zu sein, womit sich der Mensch, insbesondere der Schweizer, schwer tut. Verletzlichkeit wird versteckt – nach aussen wird ein Bild verkauft, dass oft nicht einmal ansatzweise der Wahrheit entspricht. Das ist mehr als schade.

Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich mit meiner offenen und ehrlichen Kommunikation einen Nerv treffe, der zwar schockieren kann, letztlich aber auch für viele eine grosse Hilfe ist. Sätze wie:

„Was, Du auch?“
„Ehrlich, das hätte ich nicht gedacht?“
„Oh, dann habe also nicht nur ich diese Gefühle?“
„Jetzt fühl ich mich nicht mehr so schlecht.“

zeigen mir immer wieder, dass die nackte Wahrheit das ist, was Menschen weiterhilft. Einer der Gründe, warum ich mich neu als Peer bei der Krebsliga ehrenamtlich engagiere. Dort helfen Betroffene anderen Betroffenen. Das können Angehörige von Krebspatienten sein, oder aber selber Krebspatienten, die ihre Erfahrungen und ihr Wissen mit anderen Teilen und über Dinge sprechen, die man sonst möglicherweise mit keinem besprechen kann, weil man die Leute damit überfordert.

Diese Plattform ist eine wunderbare Sache und ich hätte mir vor 8 Jahren gewünscht, dass es sie damals schon gegeben hätte. Ich fühlte mich nämlich damals mit dem Chaos in meinem Kopf und unserem Leben auch ziemlich überfordert. Immer wieder wurden meine Göttergatte und ich von Dingen überrollt, die wir schlicht nicht haben kommen sehen. Man kann nämlich das Leben auf dem Onkoplaneten nicht zuerst üben. Es kommt am Tag X, ungefragt und mit voller Wucht. Und es teilt das Leben in zwei Dekaden: Jene VOR der Diagnose und jene DANACH. Und auch wenn ich ganz fest hoffe, dass mein Göttergatte und ich noch viele gemeinsame Tage haben werden, so wäre es gelogen, wenn ich behaupten würde, dass dieser gemeinsame Kampf nichts mit mir und uns gemacht hat. Dieses Wissen und die unschönen Dinge, die man erlebt, gilt es mit anderen zu teilen. Damit sich da draussen keiner allein fühlt, wenn es mal so richtig bescheiden läuft.

Wer sich auch gerne als Peer engagieren möchte oder einen Peer braucht, der ihn mal für eine kurze Zeit stützt, hier gehts zur Plattform:

https://peerplattform.krebsliga.ch

3-jähriges Bürschchen

Meine beiden Enkelracker haben mir heute den Nachmittag versüsst. Sie haben mich auf Trab gehalten und mich einmal mehr mit ihren Logiken zum Grinsen gebracht.

Der Kleine, der von mir liebevoll Krawallino genannt wird, hat seine Aufgabe des nervigen Bruders richtig ernst genommen. Und wenn seine Schwester ihn ignorieren wollte, um ihn abzuschütteln, hat er ihr laut ins Ohr geschrien. Da musste ich schimpfen:

„Hey, das tut man nicht, das ist gefährlich!“

Er so: „Gefährlich? Wieso?“

Ich: „Erstens tut es weh und es ist gefährlich, Deine Schwester kann taub werden. Dann hört sie nichts mehr.“

Er so: „Wieso, sie hat doch auf der anderen Seite noch ein Ohr“, …..

Sowas von logisch!

Wenn ich Kurz- oder Langurlaub mache, dann werde ich gerne von der Enkelin per Facetime über alles informiert, was sie mir so erzählen möchte. Hin und wieder gucken wir auch zusammen ein Buch an, das sie so hinstellt, dass ich die Seiten sehen und erzählen kann. Sie ist sehr kreativ, wenn es darum geht, auch auf Entfernung ihre Dosis Grosi zu bekommen.

Gerade kürzlich war ich in der Sonnenstube Tessin (es hat zwar fast nur geregnet) und sie wollte wissen, ob ich denn nach meiner Ankunft zu Hause noch zu Besuch komme.

Sie: „Okay, Grosi, wenn Du ankommst, kannst Du gleich zu uns zum Spielen kommen.“

Ich: „Das geht nicht, weil ich muss ganz lange Zug fahren und es wird abend, bis ich zu Hause bin.“

Sie: „Ach Grosi, das musst Du nicht. Du musst nur einen Schnellzug nehmen!“

Sowas von sonnenklar, oder? Dass ich selber nicht darauf gekommen bin …

Unerwartet perfekt

Wenn man von Tag zu Tag lebt und dabei versucht, jeden Tag so zu nehmen wie er eben kommt, dann plant man nicht mehr im voraus. In etwa so läuft unser Leben seit ein paar Jahren. Wir geniessen die guten Tage und überstehen irgendwie die weniger Guten. Wir haben lernen müssen, dass man im Leben nicht alles in der Hand hat. Es gibt Dinge, die passieren einfach, ob man will oder nicht!

Der Göttergatte hat mich überzeugen können, einen Sprung in unser „altes Leben“ zu machen und eine Woche Ferien in unserem ehemaligen Stammhotel anzutreten. Ich hatte Mühe mit diesem Gedanken. In meinem Kopf hatte ich diesen wunderbaren Ort „abgeschrieben“ und in die Schublade „perfekt gibt es nicht mehr“ gesteckt. Und trotzdem bin ich mit ihm losgefahren. Zusammen mit dem Tochterkind und ihrer Familie.

Die Anreise war gefühlsmässig für mich durchzogen. Was würde mich da wohl an Emotionen erwarten? Und … was soll ich sagen: ES WAR PERFEKT!! Ich habe die Eingangshalle der wunderbaren Hotelanlage in Österreich betreten, habe eingeatmet und meine Seele füllte sich mit dem Gefühl von „Zuhause“!!!! Ich hätte das niemals erwartet.

Petrus hat sich auch gnädig gezeigt und uns eine intensive Sommerwoche beschert. Und so konnten wir jeden Tag geniessen, baden, essen, chillen und unsere wunderbaren Enkelkinder geniessen, die uns das erste mal begleitet haben. Alles in allem also eine Fahrt an einen Ort, für welchen wir alle sehr dankbar sind und an den ich sofort wieder reisen werde. Wie gut, dass wir losgefahren sind! Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht erklären. Man muss sie einfach tun.

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