von süss bis ungeniessbar

Achterbahn

Es gibt Zeiten in unserem irdischen Dasein, da schmeisst das Leben mit soviel Leben um sich, dass wir kaum mehr wissen, wie wir das bewerkstelligen sollen.

Ja, aktuell bin ich mit meinem Göttergatten in genau so einer Situation.

Man kann es schönreden – ändert nur nichts.
Man kann es ignorieren – macht es aber nicht weg.
Man kann dagegen wehren – macht einen noch müder.
Mann kann es akzeptieren – ich tue mich schwer damit und lerne.
Man kann Tag für Tag nehmen – für mich die einzige Strategie zum ÜberLEBEN.

Und dann gibt es den ultimativ gut gemeinten, aber von mir absolut gehassten Killersatz, den ich „öppe mou“ zu hören bekomme:

“Du musst einfach nur positiv denken, dann geht das schon.“

Leute, schon beim Schreiben dieses Satzes kocht mein Blut!!!!!

DU MUSST …. ich muss eigentlich gar nichts!
EINFACH NUR …. wie abwertend ist das denn bitte???
POSITIV DENKEN … im Dunkeln scheint die Sonne nicht!

Zum Veranschaulichen, warum ich diesen Satz so hasse:

Stellt euch vor, euch wird ein Plastiksack über den Kopf gestülpt und dazu kommt der Satz: „Du musst einfach nur weniger atmen, dann geht das schon.“

Ja, in etwa genauso fühlt sich dieser Ratschlag an.
Es gibt sie sicher, die Momente im Leben, in denen positives Denken ganz viel bewegt und bewirkt. Dann gibt es aber einfach auch jene Tatsachen im Leben, in denen das Leben Dir soviel Scheisse vor die Füsse wirft, dass auch mit positivem Denken aus der Scheisse kein Gold wird.

Ich bin so dankbar für alle, die uns tragen helfen. Aber der Killersatz, der muss echt nicht mehr sein.

Jahrestag der Krebsdiagnose

Der 12. November 2016. Der Tag, der unser Leben für immer verändert hat.

Heute schreiben wir den 12. November 2024 – das bedeutet, dass wir heute ins 9. Überlebensjahr nach der Diagnose „unheilbar“ starten.

Zugegeben, die Ausgangslage war schon besser, als sie es aktuell gerade ist. Der ungebetene Gast hat beschlossen, sein Zuhause im Körper meines Göttergatten auszuweiten und uns damit Steine in den Weg zu legen, die leider sehr gross und schier nicht zu bewältigen sind.

Tatsache ist aber: Wir nehmen den Kampf ein weiteres mal auf – allerdings nicht blauäugig, sondern im Wissen, dass die Luft noch dünner wird. Wir hadern, die Tränen laufen und wir sind verzweifelt, wie jede Familie, die so etwas erlebt. Aber wir rücken noch näher zusammen, erarbeiten Strategien und wägen ab zwischen dem schmalen Grat, der zwischen Leben und Sterben verläuft.

Der Göttergatte entscheidet sich einmal mehr für eine weitere Runde Kampf, um noch mehr Erinnerungen sammeln zu können. Wir stützen und sammeln mit! Denn auch bei allem, was an dieser Krankheit schrecklich, hässlich und unerklärlich ist, so schauen wir aktuell auf 8 Jahre zurück, die NIEMAND je erwartet hätte. Die Mediziner verstehen es als „Wunder“ – der Göttergatte benennt es mit „meine eigene Statistik“. Wir als Familie nehmen es als geschenkte Zeit.

Geschenkte Zeit, die wir mit allem gefüllt haben, was ging. Wir schauen nicht zurück, um all die harten und schrecklichen Ereignisse nochmal durchzugehen. Wir schauen zurück im Wissen, dass wir so verdammt viel schöne Momente, Ereignisse, Erfahrungen und Glückszeiten sammeln konnten.

Und das werden wir in der nächsten Zeit genauso weiter versuchen. Auch wenn die Steine nun grösser sind, die uns im Weg liegen – dann fahren wir halt die Bagger auf. Solange der Göttergatte den Weg sieht, solange gehen wir ihn gemeinsam. Und wir feiern das Leben jeden Tag ein kleines oder grösseres Bisschen.

Was wir bis hierhin als Familie geschafft haben, ist auch für uns manchmal kaum fassbar. Und unser Netz an Menschen, die uns dabei stützen und mittragen, ist unglaublich.

Dafür sind wir dankbar und nehmen die nächste Runde in Angriff. Immer im Wissen, dass das Leben sehr zerbrechlich, aber einfach auch schlicht wunderbar sein kann.

Offen – ehrlich – hilfsbereit

Es gibt Menschen, deren Leben verläuft gefühlt einfach immer schön geradeaus und ohne grosse Achterbahnfahrten. Denkt man. Vermutlich ist aber so, dass es diese Wundermenschen gar nicht gibt. Es ist einfach in unserer Schweizer DNA, über unschöne Dinge zu schweigen. Ganz oben sind dabei Krankheiten oder der Tod. Bloss nicht ansprechen – könnte traurig und tränenreich sein.

Ich sage: Totaler Blödsinn. Es gibt nichts schlimmeres als das grosse Schweigen. Es lässt verzweifelte Menschen noch verzweifelter werden. Sie fühlen sich alleine und unverstanden, weil sie immer glauben, mit ihrem Schicksal alleine zu sein. Dabei wäre es so einfach. Aber offene und ehrliche Kommunikation scheint nach wie vor etwas zu sein, womit sich der Mensch, insbesondere der Schweizer, schwer tut. Verletzlichkeit wird versteckt – nach aussen wird ein Bild verkauft, dass oft nicht einmal ansatzweise der Wahrheit entspricht. Das ist mehr als schade.

Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich mit meiner offenen und ehrlichen Kommunikation einen Nerv treffe, der zwar schockieren kann, letztlich aber auch für viele eine grosse Hilfe ist. Sätze wie:

„Was, Du auch?“
„Ehrlich, das hätte ich nicht gedacht?“
„Oh, dann habe also nicht nur ich diese Gefühle?“
„Jetzt fühl ich mich nicht mehr so schlecht.“

zeigen mir immer wieder, dass die nackte Wahrheit das ist, was Menschen weiterhilft. Einer der Gründe, warum ich mich neu als Peer bei der Krebsliga ehrenamtlich engagiere. Dort helfen Betroffene anderen Betroffenen. Das können Angehörige von Krebspatienten sein, oder aber selber Krebspatienten, die ihre Erfahrungen und ihr Wissen mit anderen Teilen und über Dinge sprechen, die man sonst möglicherweise mit keinem besprechen kann, weil man die Leute damit überfordert.

Diese Plattform ist eine wunderbare Sache und ich hätte mir vor 8 Jahren gewünscht, dass es sie damals schon gegeben hätte. Ich fühlte mich nämlich damals mit dem Chaos in meinem Kopf und unserem Leben auch ziemlich überfordert. Immer wieder wurden meine Göttergatte und ich von Dingen überrollt, die wir schlicht nicht haben kommen sehen. Man kann nämlich das Leben auf dem Onkoplaneten nicht zuerst üben. Es kommt am Tag X, ungefragt und mit voller Wucht. Und es teilt das Leben in zwei Dekaden: Jene VOR der Diagnose und jene DANACH. Und auch wenn ich ganz fest hoffe, dass mein Göttergatte und ich noch viele gemeinsame Tage haben werden, so wäre es gelogen, wenn ich behaupten würde, dass dieser gemeinsame Kampf nichts mit mir und uns gemacht hat. Dieses Wissen und die unschönen Dinge, die man erlebt, gilt es mit anderen zu teilen. Damit sich da draussen keiner allein fühlt, wenn es mal so richtig bescheiden läuft.

Wer sich auch gerne als Peer engagieren möchte oder einen Peer braucht, der ihn mal für eine kurze Zeit stützt, hier gehts zur Plattform:

https://peerplattform.krebsliga.ch

5 Jahre seit …

… ich an diesem grauen Novembermorgen aus dem Fenster schaute und wusste, dass sich unser Leben nie wieder so anfühlen würde, wie es sich zuvor angefühlt hat.

Es war der Morgen, nachdem man mir auf dem Korridor eines Krankenhauses die Diagnose „Krebs“ bei meinem Göttergatten ins Gesicht klatschte. Es war der Morgen, an jenem ich mit meiner Hündin in den Garten ging und nicht verstehen konnte, warum sich die Welt noch genauso dreht, wie sie dies zuvor getan hat. Es war jener Morgen, an dem ich mich fragte, wie ich mir ein Leben ohne meinen Göttergatten vorstellen sollte.

An diesem Tag habe ich funktioniert wie eine Maschine. Ich habe organisiert, durchgedacht, aufgegleist und auf Raten der Ärzte alles Administrative in die Wege geleitet, um einen prognostizierten nahen Tod zu regeln, soweit man dies halt eben regeln kann. Es war, als ob mein ganzen System auf Autopilot geschaltet hätte und ich stand neben mir und schaute mir bei all dem zu.

Der Göttergatte hatte auch zu diesem Zeitpunkt die Tragweite dieser Diagnose noch nicht verstanden – zum Glück. Er war guter Dinge und lag wohl im Krankenhaus, allerdings mit einem völligen Unverständnis für all die Geschehnisse um ihn herum, und mit dem einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Was interessieren mich die Statistiken dieser Ärzte, ich schreibe meine eigene Statistik?!“

Ich hatte damals nicht einen Hauch von Verständnis dafür. Meine Welt war aus den Fugen geraten und er war selbst da noch stoisch.

Nun – ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass uns ein Spaziergang bevorstand. Wir gehen gemeinsam einen nicht immer einfachen Weg. Und er hat schon so einiges über sich ergehen lassen müssen. Unser Leben hat sich nachhaltig verändert und ich frage mich oft, was gewesen wäre, wenn er sich nach der vernichtenden Diagnose aufgegeben hätte. Aber Fakt ist, dass er dies niemals getan hat und so hat er aus prognostizierten wenigen Monaten inzwischen inzwischen 5 JAHRE gemacht!!!

5 Jahre, in welchen wir viele Steine aus dem Weg räumen mussten; allerdings eben auch 5 Jahre, in welchen wir soviel Schönes erleben konnten. Ich hätte damals nicht im Traum daran gedacht, dass wir noch gemeinsam Grosseltern werden könnten. Im Gegenteil: In meinem Kopf war der Gedanke, dass ich all das nicht mehr mit ihm erleben würde. Inzwischen sind wir zweifache Grosseltern, haben einige wunderbare Reisen gemeinsam gemacht und durchleben gar gemeinsam eine Pandemie. Okay, zugegeben: SELBIGE stand nicht auf unserer Bucketlist; aber da wurden wir leider nicht gefragt.

Das Krebsvieh ist leider zäh, sehr zäh … und leider unbesiegbar – aber wie er wenige Monate in 5 Jahre verwandelt hat, macht doch Mut, dass unser Weg noch etwas dauern wird. Und es macht Hoffnung auf weitere Erlebnisse, mit welchen ich damals nicht gerechnet habe.

Wie heisst es so schön: Das Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter abgepfiffen hat. Wir gehen in eine weitere Verlängerung und starten heute das 6. Jahr. Unfassbar!

Was lernen wir daraus? Mit dem Kopf im Sand haben wir zu wenig Luft, um auch harte Wege in Angriff zu nehmen. Also immer schön den Kopf oben halten …

Totgesagte leben länger …

… oder wie man sich mit einer Schockdiagnose und dem Wort „unheilbar“ vier Jahre erkämpft.

Jap, genau vier Jahre ist es her, seit ich im Wartezimmer der Röntgenabteilung des Krankenhauses auf meinen Göttergatten wartete – und stattdessen von einem Arzt abgeholt wurde, der mir auf dem Korridor verkündete, dass es um meinen Mann ganz schlecht stehe und er noch nichts davon wisse. „Am besten informieren Sie ihn darüber, dass wir einen bösartigen Tumor gefunden haben; erfahrungsgemäss ist es besser, wenn das die nächsten Angehörigen machen.“

Ich weiss noch, wie um mich herum alles auf einmal ganz schummerig war – ich hatte das Gefühl, zu fallen … und keinen Boden mehr zu finden. Und ich war so unter Schock, dass ich dem Mann im weissen Kittel glaubte, was er mir damals gesagt hat. Heute weiss ich, dass er mir damit die grösste Bürde aufgeladen hat, die man einem Menschen nur aufladen kann. Und es sollte nicht die einzige bleiben …

Ich bin damals im Blindflug nach Hause gefahren, um all wichtigen Sachen für meinen Göttergatten zu holen … schliesslich hat man uns gesagt, dass er womöglich nie wieder nach Hause kommen würde. Und ich habe seither bei jeder gefährlichen Operation – bei jedem kritischen Vorfall – bei allen Eingriffen innerlich immer wieder versucht, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich möglicherweise ohne ihn nach Hause fahre.

Ich weiss, dass der Tag kommt … aber bislang kam er nicht – und wir kämpfen immer noch Seite an Seite um jeden guten Tag 🙂 Wir sind in den vier Jahren um so viele Erfahrungen und Erlebnisse reicher geworden, die wir damals nicht für möglich gehalten hätten. Man hat uns so viel prophezeit, und der Göttergatte hat genauso viel widerlegt!! Er hat seine eigene Statistik geschrieben – und auch wenn er morgen gehen müsste … er hat so verdammt viel geschafft, was kein Mediziner erklären kann. Wir waren unzählige Male noch in unserem geliebten Hamburg, wir sind durch Marokko gereist, er hat seinen Mustang mit Hilfe von Freunden restauriert, wir haben einen Neubau erstellt und wir sind die stolzesten Grosseltern unserer kleinen Zuckermaus geworden.

Leider hat uns nun Covid dazu gezwungen, die noch offenen Pläne zu begraben … aber auch wenn wir nun ziemlich „isoliert“ leben, so leben wir eben noch – GEMEINSAM! Wär hätte das damals gedacht? Ich nicht!

Wir hatten in den vier Jahren viel Zeit, um uns über alles, was nach dem Tod kommt, Gedanken zu machen. Und wir hatten auch genügend Zeit, um alles zu organisieren, was man gerne vor sich herschiebt, weil es unangenehm ist. Und diese Zeit haben wir uns erkämpft – gemeinsam, als Familie … und er als stiller Statistikverfälscher!!!

Egal was kommen mag: Lasst euch niemals von Statistiken einschüchtern … versucht, eure eigenen zu schreiben und … wenn der letzte Tag kommt, dann ist er da. Aber alle anderen Tage sind nicht die letzten und wollen gelebt werden. Im übrigen wissen wir zum Glück alle nicht, wann unser letzter Tag kommt, und das ist gut so. Wir haben gelernt, im Hier und Jetzt zu leben … denn morgen kann schon alles vorbei sein. Den gesunden Menschen ist das leider viel zu wenig bewusst. Geniesst jeden Tag, als ob es euer letzter wäre … dann lebt ihr 🙂

Bleibt gesund!

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