Lieber Göttergatte
Weisst Du noch, wie Du mir – aufgrund unserer begrenzten gemeinsamen Lebenszeit – immer gesagt hast, dass ich niemals alleine sein werde? Nun, da hattest Du zwar recht … und doch stimmt es eben nicht so ganz.
Ich habe meine erste Einladung an ein mittelgrosses Fest alleine absolviert. Es hat sich sehr ungewohnt angefühlt. Zum ersten mal habe ich erlebt, wie es sein kann, wenn man sich inmitten von vielen Menschen alleine fühlt. Ich sage nur:
Das 5. Rad am Wagen!
Ja, das gibt es also tatsächlich. Ich habe mir das vorher nicht vorstellen können, weil ich doch immer Deine sehr selbständige Frau war. Keine Angst, meine Selbständigkeit habe ich nicht verloren. Aber das undefinierbare Gefühl des Alleinseins, selbst wenn da viele Menschen um einen versammelt sind – das ist neu. Auch wenn ich früher oft ohne Dich irgendwo zu Besuch war, so hat es sich anders angefühlt. Warum?
Ich glaube, dass es daran liegt, dass die Menschen mir anders begegnen als früher. Sie wissen nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollen.
Umarmen?
Die Hand schütteln?
Kondolieren?
Mitleidig gucken?
Und diese Unsicherheit provoziert für mich völlig unbekannte Schwingungen. Man schiebt mir einen Stuhl an den Tisch, klopft auf die Sitzfläche und fordert mich mit mitleidiger Stimme auf, mich doch dazuzusetzen. Ich fühle mich dabei, als ob ich eine Behinderung haben müsste. Damit kann ich schlecht umgehen.
Kannst Du Dir vorstellen, dass die Leute nicht wissen, was sie zu mir sagen sollen und mich dann einfach schweigend anstarren? Ich habe mir das nicht vorstellen können – aber es passiert! Ergo: Ich ergreife bei gefühlt JEDEM Gespräch die Initiative, um den Menschen die Angst zu nehmen, etwas Falsches zu sagen. Das ist ganz schön anstrengend.
Aber: Du kennst mich und weisst, dass ich nicht aufgeben werde. Ich werde nicht zulassen, dass ich mich behindert fühlen muss, weil die Mehrheit der Menschen mit der Tatsache überfordert ist, dass da eine Frau kommt, die ihren Mann gerade erst verloren hat. Ich weiss, was Du jetzt sagen würdest: „Ich verstehe diese Leute – ich wüsste auch nicht, wie ich mich verhalten soll.“
Und deshalb ergreife ich also einmal mehr die Initiative:
Liebe Leute da draussen: Das ist KEIN Vorwurf! Ich weiss, dass ich zu den Ausnahmen zähle, wenn ich sage, dass ich kein Problem damit habe, das Sterben und den Tod schonungslos zum Thema zu machen und deshalb auch ungezwungen auf Menschen zugehen kann, die gerade einen Verlust erlebt haben. Aber ich möchte euch ermutigen, mich genauso zu behandeln, wie ihr mich immer behandelt habt. Ich bin nämlich immer noch dieselbe wie vorher. Auch wenn mein Herz manchmal sehr schwer ist, so lache ich nach wie vor gerne und laut. Ich habe meinen rabenschwarzen Humor nicht verloren und auch meine Lebensfreude ist noch da.
Drum: Alles ist besser als dieses undefinierbar schräge Mitleid. Das fühlt sich für mich immer so an, als ob man mich in Watte packen und mit Samthandschuhen anfassen möchte. Und das ausgeprägte „Jööööööööö …..“ mit dem dazugehörenden Hundeblick, das gibt mir noch den Rest. Dann fühle ich mich noch 30 Zentimeter gross und habe den Eindruck, nicht mehr ernst genommen zu werden. Tut das bitte nicht … ich kann damit umgehen, dass ich künftig alleine durchs Leben gehen werden – mal besser, mal weniger gut. Aber Mitleid ist nicht das, womit ich umgehen kann. Gar nicht!
Übrigens: Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid.
Das habe ich aber heute noch wenn ich an einem Geburtstag oder sonst wo Eingeladen bin. Fühle mich nicht wohl und alleine gerade weil mein gegenüber fehlt.
Aber Du bist stark und meisterst das gut .
Gut geschrieben wie immer 💪🍀
Es ist auch nicht so, dass ich das nicht meistern würde – ich finde nur schräg, dass die Leute einem auf einmal so komisch begegnen – ich gebe da aber Gegensteuer … ich bin nämlich immer noch die Alte!
Sehr guet gschriebe, cha dir guet nochefüehle.
Danke – offebar geits so vielne so, me redt eifach nid drüber … leider ….
Wow, bin sehr beeindruckt! Verfolge Ihren Blog schon längere Zeit und sehe Sie als Vorbild an! Wie Sie Höhen und Tiefen meistern, die Einstellung zum Leben und Tod.
Ich selbst lebe nach einem Motto: Mut ist Angst, plus ein Schritt! Ich wünsche Ihnen alles erdenkliche Gute und bin erfreut, weitere Zeilen in Zukunft lesen zu dürfen!
Oh, herzlichen Dank für das liebe Kompliment 🙂
💪💪👏👏
Super geschrieben
Danke! 🙂