von süss bis ungeniessbar

Was werde ich vermissen?

Die Koffer sind gepackt und es geht morgen zurück in die Schweiz. Ich sitze schwitzend auf der Terrasse und frage mich, was ich zu Hause vermissen werde. Die Antwort ist ziemlich einfach: Die Aussicht aufs Meer, die fehlt mir immer sehr.

Und sonst? Eigentlich nur sie:

Die Herzmenschin, die einfach alles mitmacht, immer da ist, versteht, zuhört, diskutiert, interessiert ist und so positiv durchs Leben geht, dass sie selbst mich dazu bringt, meine Grenzen immer wieder aufs Neue zu sprengen.

Seit der Göttergatte nicht mehr lebt, habe ich bestimmt schon 1000 mal gesagt: Jeder, der einen Tiefschlag einstecken muss im Leben, sollte eine solche Herzmenschin haben. Es macht doch so einiges einfacher! Unbezahlbar.

Ich habe sogar das grosse Glück, neben einer genialen Familie ganz viele tolle Menschen um mich herum zu haben. Die bestmögliche Ausgangslage in einer doch manchmal sehr bescheidenen Lebenssituation.

Worauf freue ich mich zu Hause?

Na klaaaar:
Auf meine beiden Zwerge!!!!!
Auf meine Familie.
Auf meine Freunde.
Auf meine TV-Couch.
Auf meine Dusche.
Auf mein Skyr.

Worauf freue ich mich gar nicht?
Auf die Tatsache, dass mein Zuhause eben nur noch mein Zuhause ist. Nicht mehr unser Zuhause. Dass der Göttergatte dort nicht wartet, um mich in den Arm zu nehmen und an seinen Bauch zu drücken. Dass er keine Witze über meine Berge von Schmutzwäsche machen wird und dass er auch den Kühlschrank nicht mit Lieblingsessen gefüllt hat.

Ja, verreisen und wieder nach Hause zurückkehren ist anders geworden, seit der Göttergatte fehlt. Sehr fest anders …

Alarm in Wohnzimmer

Kurze Information, um die Geschichte besser zu veranschaulichen: Wenn der Göttergatte und ich gemeinsam vor der Glotze sind, dann gleicht das einem absolut entspannten Massenlager. Unser Sofa ist eine Liegewiese und unsere Extremitäten müssen nicht sortiert werden. Sie können einfach bleiben, wo sie bei der Landung gerade den ersten Kontakt mit dem Kuschelding haben. Auch klein Ellie und mindestens eine Katze haben dabei noch locker ihre Plätze.
So geschehen auch vor kurzem.

Da ruft der Göttergatte auf einmal aus dem Nichts:

„Ey, guck Dir das an – ich glaubs nicht“, und zeigt auf unseren gemusterten Teppich, der vor dem TV-Gerät liegt.

Seine Stimmlage ordne ich irgendwo zwischen überrascht und absolut verständnislos ein. Ergo: Mein System stellt auf Panik. Ich gucke zwar, sehe aber noch nichts und ziehe instinktiv meine Beine hoch an meinen Körper (Embryo) und quietsche:

„Nein, ich will nicht!“

Hä – ich will was nicht? Und wo ist die Logik hinter dieser Reaktion? Null Logik! Einfach eine komplett irrationale Reaktion einer verwirrten Frau. Keine Ahnung, was ich auf dem Teppich erwartet habe. Aber was ich dann sehe, habe ich definitiv nicht erwartet:

Der hübsche Kerl hüpft völlig verängstigt durch unser Wohnzimmer – warum auch immer. Und erst im Badezimmer an der Wand kommt er zum Stillstand und ich habe die Chance, ihn zu fotografieren. Ich weiss nicht, wer mehr erschrocken ist: Der Frosch oder ich?

Noch vielmehr würde mich aber interessieren, woher der kleine Kerl gekommen ist und wie es kam, dass er auf einmal durch unser Wohnzimmer gehüpft ist. Bei uns wohnen bekanntlich noch zwei Kater und eine Hündin – er muss also relativ gut in Deckung gewesen sein.

Dass der Göttergatte ihn mit einem kleinen Becken eingefangen und vor seiner Freilassung noch den Enkelkindern gezeigt hat, ist Ehrensache. Der kleine Kerl war heilfroh, als er den Weg in die Freiheit und in Richtung Bach wieder hatte und hüpfte sofort los.

Die Enkelin verabschiedete sich von ihm mit den Worten: „Tschüss Frosch! Ich bin ein bisschen traurig, dass Du Deine Mama verloren hast, aber Du findest sie sicher wieder.“

Sachen gibts, die gibts gar nicht!

5 Jahre seit …

… ich an diesem grauen Novembermorgen aus dem Fenster schaute und wusste, dass sich unser Leben nie wieder so anfühlen würde, wie es sich zuvor angefühlt hat.

Es war der Morgen, nachdem man mir auf dem Korridor eines Krankenhauses die Diagnose „Krebs“ bei meinem Göttergatten ins Gesicht klatschte. Es war der Morgen, an jenem ich mit meiner Hündin in den Garten ging und nicht verstehen konnte, warum sich die Welt noch genauso dreht, wie sie dies zuvor getan hat. Es war jener Morgen, an dem ich mich fragte, wie ich mir ein Leben ohne meinen Göttergatten vorstellen sollte.

An diesem Tag habe ich funktioniert wie eine Maschine. Ich habe organisiert, durchgedacht, aufgegleist und auf Raten der Ärzte alles Administrative in die Wege geleitet, um einen prognostizierten nahen Tod zu regeln, soweit man dies halt eben regeln kann. Es war, als ob mein ganzen System auf Autopilot geschaltet hätte und ich stand neben mir und schaute mir bei all dem zu.

Der Göttergatte hatte auch zu diesem Zeitpunkt die Tragweite dieser Diagnose noch nicht verstanden – zum Glück. Er war guter Dinge und lag wohl im Krankenhaus, allerdings mit einem völligen Unverständnis für all die Geschehnisse um ihn herum, und mit dem einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Was interessieren mich die Statistiken dieser Ärzte, ich schreibe meine eigene Statistik?!“

Ich hatte damals nicht einen Hauch von Verständnis dafür. Meine Welt war aus den Fugen geraten und er war selbst da noch stoisch.

Nun – ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass uns ein Spaziergang bevorstand. Wir gehen gemeinsam einen nicht immer einfachen Weg. Und er hat schon so einiges über sich ergehen lassen müssen. Unser Leben hat sich nachhaltig verändert und ich frage mich oft, was gewesen wäre, wenn er sich nach der vernichtenden Diagnose aufgegeben hätte. Aber Fakt ist, dass er dies niemals getan hat und so hat er aus prognostizierten wenigen Monaten inzwischen inzwischen 5 JAHRE gemacht!!!

5 Jahre, in welchen wir viele Steine aus dem Weg räumen mussten; allerdings eben auch 5 Jahre, in welchen wir soviel Schönes erleben konnten. Ich hätte damals nicht im Traum daran gedacht, dass wir noch gemeinsam Grosseltern werden könnten. Im Gegenteil: In meinem Kopf war der Gedanke, dass ich all das nicht mehr mit ihm erleben würde. Inzwischen sind wir zweifache Grosseltern, haben einige wunderbare Reisen gemeinsam gemacht und durchleben gar gemeinsam eine Pandemie. Okay, zugegeben: SELBIGE stand nicht auf unserer Bucketlist; aber da wurden wir leider nicht gefragt.

Das Krebsvieh ist leider zäh, sehr zäh … und leider unbesiegbar – aber wie er wenige Monate in 5 Jahre verwandelt hat, macht doch Mut, dass unser Weg noch etwas dauern wird. Und es macht Hoffnung auf weitere Erlebnisse, mit welchen ich damals nicht gerechnet habe.

Wie heisst es so schön: Das Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter abgepfiffen hat. Wir gehen in eine weitere Verlängerung und starten heute das 6. Jahr. Unfassbar!

Was lernen wir daraus? Mit dem Kopf im Sand haben wir zu wenig Luft, um auch harte Wege in Angriff zu nehmen. Also immer schön den Kopf oben halten …

Unerwartet perfekt

Wenn man von Tag zu Tag lebt und dabei versucht, jeden Tag so zu nehmen wie er eben kommt, dann plant man nicht mehr im voraus. In etwa so läuft unser Leben seit ein paar Jahren. Wir geniessen die guten Tage und überstehen irgendwie die weniger Guten. Wir haben lernen müssen, dass man im Leben nicht alles in der Hand hat. Es gibt Dinge, die passieren einfach, ob man will oder nicht!

Der Göttergatte hat mich überzeugen können, einen Sprung in unser „altes Leben“ zu machen und eine Woche Ferien in unserem ehemaligen Stammhotel anzutreten. Ich hatte Mühe mit diesem Gedanken. In meinem Kopf hatte ich diesen wunderbaren Ort „abgeschrieben“ und in die Schublade „perfekt gibt es nicht mehr“ gesteckt. Und trotzdem bin ich mit ihm losgefahren. Zusammen mit dem Tochterkind und ihrer Familie.

Die Anreise war gefühlsmässig für mich durchzogen. Was würde mich da wohl an Emotionen erwarten? Und … was soll ich sagen: ES WAR PERFEKT!! Ich habe die Eingangshalle der wunderbaren Hotelanlage in Österreich betreten, habe eingeatmet und meine Seele füllte sich mit dem Gefühl von „Zuhause“!!!! Ich hätte das niemals erwartet.

Petrus hat sich auch gnädig gezeigt und uns eine intensive Sommerwoche beschert. Und so konnten wir jeden Tag geniessen, baden, essen, chillen und unsere wunderbaren Enkelkinder geniessen, die uns das erste mal begleitet haben. Alles in allem also eine Fahrt an einen Ort, für welchen wir alle sehr dankbar sind und an den ich sofort wieder reisen werde. Wie gut, dass wir losgefahren sind! Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht erklären. Man muss sie einfach tun.

Back to …. 2005!

Vor mir liegen Kabel, Kabelbinder, Lötkolben, Batterien, Sekundenkleber, Büroklammern, Leim, Kartonschachteln und Stopfmaterial. Was das soll? Ich baue mir eine Zeitmaschine!

Ja, richtig – ich habe die Schnauze voll von 2020! Gestrichen voll. Eigentlich ist unser Leben schon seit ein paar Jahren mehr als kompliziert. Seit wir von einem Tag auf den anderen auf den Onkoplaneten katapultiert wurden, war es nie wieder unbeschwert. Keinen Tag, keine Stunde, keine Minute. Und als wir dachten, uns könne praktisch nichts mehr das Leben verkomplizieren, da kam 2020!

COVID19 hiess der neue Fiesling und stellte sich uns ganz gemein in den Weg. Als ob es da nicht schon genug Steine drauf hätte. Das Mistding grinst uns täglich ins Gesicht und sagt „ätsch, schön zu Hause bleiben, ich lauere nämlich überall“!

Ah, dann hätten wir da noch eine aktuell sehr ausgeprägte Hitzewelle, Insektenplagen, Konkurse am laufenden Band, Aggressionen hier und da und jede Menge anderer Gründe, warum 2020 unter „Pleiten, Pech und Pannen“ weggeschmissen werden kann. Und weil mir die Zukunft eher Angst macht, als dass ich mich darauf freue, habe ich beschlossen, zurück zu reisen. Ja: Zurück in ein Jahr, in welchem ich das Leben noch ziemlich schön fand. 2005 ist mir eingefallen. Zwar musste ich mich damals von meiner geliebten Oma verabschieden – aber weil sie schon lange zuvor krank war, konnte ich sie gut gehen lassen. Unsere beiden Kinder waren damals 10 und 12 Jahre alt (ein wunderbares Alter), mein Göttergatte war gesund und aktiv, meinen Eltern ging es gut, ich war im Kopf in der Startphase meiner Selbständigkeit im Textilbereich und ich freute mich auf alles, was noch kommen würde. Wir konnten zweimal jährlich wunderbare Ferien mit unsere liebsten Freunden verbringen und hatten soviele Pläne. Es war perfekt … ich weiss nur nicht so genau, ob wir das damals auch so empfunden haben. Aber ich weiss, dass wir unser Leben sehr genossen haben.

Ich habe eine liebe Freundin, die unglaublich gerne mit mir zusammen in die „alte Zeit“ zurückreisen würde. Sie empfindet das Leben aktuell auch nicht gerade prickelnd. Und wenn ich jemandem davon erzähle, dann muss ich aus meiner Maschine wohl einen Bus bauen – es gibt ganz schön viele, die gerne mitreisen möchten!!!

Fakt ist: Wenn ich das Ding zusammengebaut habe, dann werde ich die ganzen Erfahrungen von heute in meinen Rucksack packen (die nehme ich nämlich mit), meine Enkelin schnappen (DIE MUSS AUCH MIT) und werde mich verdünnisieren (gehört neu in meinen persönlichen Duden). Und wenn ich dort angekommen bin, dann halte ich die Zeit an!!! Ich will ja nicht noch einmal in Richtung 2020 kommen – diese Richtung gefällt mir nämlich null Komma gar nicht!!

Falls da draussen noch mehr Anwärter auf Zeitmaschinenplätze fürs 2005 sind: Bitte melden, ich bin flexibel was die Grösse der Maschine angeht!

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