von süss bis ungeniessbar

LGBTQ

Vermutlich wissen die meisten, was die Buchstaben in meinem Titel bedeuten. Ich bin mir aber fast sicher, dass auch welche mitlesen, die jetzt denken, meine Katze sei versehentlich über die Tastatur gelaufen. Und ich muss gestehen, dass dieser Buchstabensalat auch in etwa so aussieht. Was er bedeutet?

L = Lesbian
G = Gay
B = Bisexual
T = Transgender
Q = Queer

Diese Wörter stammen allesamt aus dem Englischen und sind eine Sammelbezeichnung für Personen, die nicht heterosexuell sind oder deren Geschlechtsidentität nicht dem binären Modell von männlich und weiblich entspricht. Mit der LGBTQ-Bewegung haben sich also Menschen zusammengeschlossen, die sich nicht in den Schubladen der traditionellen Normen bewegen, welche in der Steinzeit irgendwann einmal in die Wände gemeisselt worden waren.

Und nun haben wir den Salat. Den Buchstabensalat, oder den Neigungssalat, oder wie auch immer man das nennen will. Warum? Weil wir für alles immer eine Schublade brauchen. Wozu? Was bringt uns das?

Was macht für mich einen liebenswerten Menschen aus? Klare Antwort: Sein Charakter, seine Seele, seine Ausstrahlung, seine Ideen, sein Humor und sein Verständnis. Ganz bestimmt gehört aber seine sexuelle Neigung nicht dazu. Die interessiert mich einen Deut! Schliesslich oute ich mich auch nicht regelmässig als Heterofrau. Wozu? Ich bin einfach ich. Finito! Ende! Das war’s!

Hat die Seele überhaupt ein Geschlecht? Ich bin mir sicher, dass sie das nicht hat. In meiner Fantasie habe ich mir aber auch schon vorgestellt, ob beim Tod eines Menschen die Seelen je nach Buchstaben-Zugehörigkeit auf verschiedene Arten den Körper verlassen. Die einen im Blümchenkleid mit Flügeln, die anderen im schwarzen Anzug mit Propellern, wieder andere mit Glitzerkleid und pinken Federn oder mit Haitikleid und Feigenblättern. Was für eine quere Vorstellung.

Die Seelen suchen sich ihren Weg dorthin, wo sie gerne hinmöchten. Und das tun sie mit Sicherheit so, wie sie das möchten. Wie gut, dass wir da nicht auch noch dreinreden können.

Eines ist inzwischen aber sicher: Die Schubladen in unserem Denken werden immer mehr und sie werden immer bunter. Das alte verschrobene Möbel mit den zwei Schubladen ist schon lange nicht mehr im Gebrauch. Falls doch, bitte wenigstens bunt streichen. Danke!

Ich fände es wunderbar, wenn wir irgendwann keine komischen Abkürzungen, Zuordnungen und Bewegungen mehr bräuchten, um Menschen zu klassifizieren. Letztlich sind es nämlich einfach alles Menschen. Sie putzen sich die Zähne, sie gehen aufs Klo, sie pupsen, sie holen hin und wieder einen Popel aus der Nase und schneiden sich die Finger- und Zehennägel. Sie gehen zur Arbeit, zahlen ihre Rechnungen und sind Teil dieser Gesellschaft. Mehr nicht. Könnten wir uns also irgendwann einfach darauf einigen, dass man – wo auch immer – nicht mehr ankreuzen muss, zu welchem Geschlecht oder welchen sexuellen Neigung man sich bekennt, sondern dass es einfach ein Mensch ist, der seine Unterschrift irgendwo auf ein Papier kritzelt?

Meine Güte – wir sind ja so unglaublich kompliziert!

Zum Hundertsten von Robert Mathys senior sel. – dem für mich besondersten Grossvater

Heute wäre Dein Geburtstag – Dein Hundertster! Jedes Jahr an diesem Tag denke ich besonders fest an Dich.

Warum das für mich so wichtig ist? Nun ja, weil Du für mich immer eine prägende und unfassbar wichtige Person im Leben warst. Du warst nicht nur eine charismatische Persönlichkeit mit einem unglaublich kreativen Geist, Du warst eben auch mein Grossvater.

Ich durfte Dich von einer besonderen Seite kennen. Du warst wohl mit Leib und Seele Unternehmer und Pionier, aber eben auch genauso Mensch mit Herz und Humor. Der Schalk in Deinen Augen hat mir immer signalisiert, ob Du nun ein Witzchen machst, oder ob Du es ernst meinst. Du hast es geliebt, uns immer wieder zu veräppeln, um Dich dann köstlich zu amüsieren, wenn wir verdutzt aus der Wasche geguckt haben. Ich weiss gar nicht, ob es jemanden gibt, der Deinem Lieblingsspiel entkommen konnte. Das ging nämlich jeweils folgendermassen:

Wenn im Restaurant oder zu Hause der Nachtisch serviert wurde, dann hast Du mit grossen Augen an einem vorbeigeschaut und gerufen: „Jetzt guck mal, wer da kommt!?“ Hat man sich umgedreht, war der Nachtisch weg! Zack!! Du hast ihn Dir geschnappt und versteckt. Ich weiss nicht, wie oft in meinem Leben ich nach meinem Nachtisch gesucht habe, aber ich erinnere mich noch, dass ich mich irgendwann nicht mehr umgedreht habe, ohne nicht meinen Nachtisch vorher in meinen Händen zu sichern … 🙂

Ich weiss, dass Du jetzt irgendwo da oben grinst, wenn Du das liest. Und Du liest mit Sicherheit mit – Du hast nämlich immer jede Zeile gelesen, die ich geschrieben habe. Meine ersten Gedichte sind an unserem gemeinsamen Lieblingsplatz im „Bärghüsli“ in Près d’Orvin entstanden: am runden Tischchen vor dem Cheminée. Du hast gezeichnet, getüftelt, radiert und berechnet. Ich habe auf dem Stuhl neben Dir geschrieben und mit Dir die Vögel auf dem Vogelhaus vor dem Livingroom studiert. Du hast jeden Vogel mit Namen gekannt und ich habe immer überlegt, warum Du das wohl alles weisst.

In meiner Erinnerung habe ich ganz viel Zeit mit Dir in Deinem Flugzeug verbracht. Du hast es geliebt, mit uns wegzufliegen. Und für mich war deshalb sonnenklar, dass Du nach Deinem Tod irgendwo in die Lüfte entschwunden bist. Es gibt Momente, da weiss ich nicht, warum ich fasziniert nach oben schaue und einem Bussard verzückt beim Flügelschlag zuschaue. Und dann fällt mir ein: Da bist Du! Irgendwo da oben bist Du und deshalb hat sich mein Blick nach oben seit Deinem Tod verändert.

Möchte ich erzählen, was ich alles mit Dir erleben durfte, würde es den Rahmen hier sprengen. Aber es war viel und es war eindrücklich. Du hast mich viel gelehrt und mir viel gezeigt. Und auch wenn ich damals nicht verstanden habe, warum Du mit Deiner eher kleinen Körpergrösse immer als gross bezeichnet wurdest, so war es mir später mehr als klar. Du hast unglaublich viele Menschen auf eine Weise geprägt, die tiefe Erinnerungen hinterlassen hat. Ich war immer unglaublich stolz, Dich als Grossvater zu haben. Du warst deshalb auch mehr als einmal das Thema in meinen Vorträgen und Schulaufsätzen. Und jetzt – selber schon Grossmutter – schreibe ich zu Deinem 100. Geburtstag erneut über Dich. So, wie Du es Dir an Deinen Geburtstagsfesten immer gewünscht hast: „Schribsch es Värsli für mi?“

Ich bin so gut wie nie an Deinem Grab – nur einmal im Jahr, wenn es die Tradition verlangt. Für mich bist Du dort nicht. Du bist überall – überall wo Flugzeugmotoren brummen, wo Vögel zwitschern, wo man sich frei und unabhängig fühlt. Und Du bist in meinem Herzen. Dort wirst Du auch bleiben, für immer.

Wo auch immer Du jetzt in diesem Moment sein magst: Heute darfst Du meine „Meringue“ (unser gemeinsamer Lieblingsnachtisch) klauen – weil es Dein Hundertster ist.

Covid’s unterwegs …

Hey ihr Leute da draussen

Ich heisse Covid, bin 19 (Tage, Monate, Jahre … egal!) und lebe seit einer Weile unter euch. Als ich mich auf den Weg gemacht habe, da dachte ich nicht im Traum daran, dass ihr mir so leichtes Spiel machen würdet. Ich hatte ja die Befürchtung, ihr würdet euch hermetisch abriegeln und dafür sorgen, dass ich nirgendwo eine Chance hätte, Fuss zu fassen. Ein Weilchen sah es sogar danach aus, als ob ihr das tatsächlich durchziehen möchtet … aber dann, als ihr dachtet, ihr hättet mich durchschaut, da habt ihr euch wieder sicher gefühlt und seid zurück zum normalen Alltagswahnsinn gegangen.

Als ihr alle mit den lustigen Dingern vor dem Gesicht rumgerannt seid, da hatte ich echt ein Problem … jeder Anlauf von mir wurde durch diese weissen, blauen und bunten Sachen in euren Gesichtern geblockt! Und meine Sprungkraft war zu wenig stark, als dass ich es geschafft hätte, von einem zum anderen zu hüpfen – ihr hattet ja auch immer soviel Luft dazwischen. Da hab ich mich ein paarmal ganz schön auf die Schnauze gelegt. Ich hatte auf einmal das Gefühl, bei euch nicht willkommen zu sein. Das war ganz schön hart für mich und meine Familie. Wir hatten in dieser Zeit ein schweres Los bei euch. Ich war schon drauf und dran, für mich und mein Gefolge den Untergang zu planen … doch dann: Auf einmal war alles wieder anders! Die Barrieren vor euren Gesichtern waren weg – ihr seid wieder zusammengerückt, ihr kommt wieder in grossen Mengen und unser Spiel bei euch macht wieder Spass. Ich habe wieder meinen alten Spazierweg gefunden … ich muss nicht einmal mehr springen – mit offenen Armen empfangt ihr mich wieder in eurer Mitte. Selbst die Barrieren sind fast alle abgebaut. Ihr habt sogar angefangen, euch laut schreiend auf Plätzen zu versammeln, um meinetwegen zu protestieren – das finde ich besonders cool. Da lasse ich jeweils meine ganzen Freunde noch kommen und wir hüpfen gemeinsam mit euch mit – mal beim einen, dann beim anderen. So macht das Leben als Covid so richtig Spass!

Als ich mich auf den Weg zu euch gemacht hatte, da wusste ich noch nicht, dass ihr dümmer sein würdet, als ich. Man hatte mir mal erklärt, dass ihr mit euren zwei Beinen intelligent und mit allen Wassern gewaschen seid. Ich bin froh, dass nichts davon stimmt! Man hat uns auch vor dem Ding namens „gesunder Menschenverstand“ gewarnt! Ich bin echt froh, dass wir dem noch nie begegnet sind – uns wurde nämlich prophezeit, dass dieses Ding uns womöglich den Garaus machen könnte. Macht doch bitte einfach weiter so, ich und meinesgleichen finden es bei euch echt gemütlich und wir denken, dass wir nicht nur bleiben werden, sondern dass wir uns so auch wunderbar vermehren können.

Danke für eure Gastfreundschaft,

euer Covid19

Krankes Gesundheitssystem

Nach zwei Jahren intensivem Lebenskampf an der Seite meines Göttergatten wissen wir eines mit Sicherheit: Unser Gesundheitssystem ist krank, sehr krank! Wenn man von einem Tag auf den anderen auf den Onkoplaneten katapultiert wird, hat man zwei Möglichkeiten:

Entweder, man macht sich selber ganz schnell schlau und wird zur Kampfsau an der medizinschen Front …

… oder man stirbt irgendwo auf dem Weg zwischen Paragraph 456 von Krankenhaus A  zu Pragraph 895 von Krankenhaus B.

Klingt krass? Ist es auch!

Je komplexer eine schlimme Krankheit ist, umso schwieriger wird der Kampf. Sobald mehrere Spitäler involviert sind, darf man sich eigentlich keine Sekunde mehr in Sicherheit meinen. Die Abläufe und Wege sind schon innerhalb eines einzigen Krankenhauses kompliziert und oft einfach nur unverständlich. Wenn es aber dann zwischen mehreren Krankenhäusern und den verschiedenen Ärzten funktionieren sollte, dann ist man – mit Verlaub – ohne eigene Koordinations- und Organisationsstelle aufgeschmissen. Es lässt sich leider nicht vermeiden, dass bei gewissen Krankheitsbildern mehrere Krankenhäuser involivert sind, da nicht jedes Krankenhaus jedes Fachgebiet abdecken kann. Und dann fängt der Irrgarten der Medizin und damit das Labyrinth für den Patienten an. Ein Labyrinth, aus welchem ein sehr kranker Mensch alleine gar nicht mehr rausfinden kann. Da braucht es Unterstützung.

Wir haben ganz zu Beginn unseres Lebens mit dem fiesen Krabbentier vom Onkodoc unseres Vertrauens etwas sehr Wertvolles gelernt: Ordner anlegen – keine Sprechstunde oder Untersuchung verlassen, ohne die Dokumente nicht in der Hand zu haben – alles sammeln und immer bei sich tragen. Das war das Beste, was wir in Anbetracht der ziemlich beschissenen Situation lernen konnten.

Zusätzlich führe ich ein medizinisches Tagebuch seit Tag 1. Medikamente, Operationen, Untersuchungen, Bildgebungen, Aussagen von Ärzten … alles halte ich fest. Niemals könnte man sonst alles im Kopfe behalten und koordinieren. Und wer nun intervenieren will mit: „Aber das ist doch der Job der behandelnden Ärzte“, dem muss ich leider sagen: „Es WÄRE deren Job, richtig. Die Realität sieht aber anders aus!“

Wir haben Ausnahmen erlebt, die gibt es zum Glück auch. Aber die Mehrheit der Spitalärzte arbeiten mit dem Tunnelblick ihres „Hoheitsgebietes“ … und machen keinen auch noch so kleinen Blick darüber hinaus. Oft wird sogar lieber gegeneinander, als miteinander gearbeitet – das Opfer ist der Patient. Wir machen als Familie seit zwei Jahren einen Intensivlehrgang in Onkologie, pharmazeutische Wissenschaft, Juristik, Radiologie, Radioonkologie und sämtlichen Notfallszenarien und deren Abläufen.

Und dabei frage ich mich: Was wäre, wenn wir als Familie nicht in der Lage wären, all das zu verstehen, zu tragen und uns immer wieder für den Patienten stark zu machen? Oder anders gefragt: Was macht ein Patient, der keine Familie oder kein Netzwerk hat? Wenn ich den Gedanken zu Ende denke, dann wird mir schlecht. Zumal die Ärzte, wenn man sie darauf anspricht, um diese Missstände wissen und finden, dass das leider trauriger Alltag und nicht zu ändern sei! Hä??? Wir sprechen hier von Menschen – nicht von Fallakten!

Ob es auch ein Studie darüber gibt, wieviel Fallakten vorzeitig geschlossen wurden, weil die Zusammenarbeit der dringend benötigten Stellen nicht funktioniert hat? Wohl kaum – das Resultat wäre bestimmt nicht sehr aufbauend in Anbetracht der Tatsache, dass wir hier in der hochtechnologisierten und medizinisch gut aufgestellten Schweiz leben …

Ich wünsche allen, dass sie gesund sein, bleiben oder werden dürfen – alles andere ist nämlich ziemlich gefährlich (in jeglicher Hinsicht) und ich werde den Beliebtheitsaward in den Krankenhäusern nicht mehr gewinnen – das ist aber ganz okay so: Ich sehe nämlich in einem weissen Kittel noch keinen Gott!!

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