Wir wohnen in einem Quartier mit einer sehr engen und herzlichen Nachbarschaft. So kommt es auch, dass unsere Enkelkinder mit den Nachbarn aufwachsen, als ob die alle zur Familie gehören würden. Eine dieser Nachbarsmenschinnen ist gerade süsse 18 Jahre alt und damit volljährig geworden.
Dadurch, dass sie den Führerschein erworben und ihre ersten Ferien alleine verbracht hat, war das bei uns immer mal wieder Thema.
Unsere Enkeltochter hat deshalb heute sehr pragmatisch festgestellt:
„Laura ist ja jetzt 18 Jahre alt. Dann ist sie jetzt kein Kind mehr, sondern ein Mensch.“
Vermutlich wissen die meisten, was die Buchstaben in meinem Titel bedeuten. Ich bin mir aber fast sicher, dass auch welche mitlesen, die jetzt denken, meine Katze sei versehentlich über die Tastatur gelaufen. Und ich muss gestehen, dass dieser Buchstabensalat auch in etwa so aussieht. Was er bedeutet?
L = Lesbian G = Gay B = Bisexual T = Transgender Q = Queer
Diese Wörter stammen allesamt aus dem Englischen und sind eine Sammelbezeichnung für Personen, die nicht heterosexuell sind oder deren Geschlechtsidentität nicht dem binären Modell von männlich und weiblich entspricht. Mit der LGBTQ-Bewegung haben sich also Menschen zusammengeschlossen, die sich nicht in den Schubladen der traditionellen Normen bewegen, welche in der Steinzeit irgendwann einmal in die Wände gemeisselt worden waren.
Und nun haben wir den Salat. Den Buchstabensalat, oder den Neigungssalat, oder wie auch immer man das nennen will. Warum? Weil wir für alles immer eine Schublade brauchen. Wozu? Was bringt uns das?
Was macht für mich einen liebenswerten Menschen aus? Klare Antwort: Sein Charakter, seine Seele, seine Ausstrahlung, seine Ideen, sein Humor und sein Verständnis. Ganz bestimmt gehört aber seine sexuelle Neigung nicht dazu. Die interessiert mich einen Deut! Schliesslich oute ich mich auch nicht regelmässig als Heterofrau. Wozu? Ich bin einfach ich. Finito! Ende! Das war’s!
Hat die Seele überhaupt ein Geschlecht? Ich bin mir sicher, dass sie das nicht hat. In meiner Fantasie habe ich mir aber auch schon vorgestellt, ob beim Tod eines Menschen die Seelen je nach Buchstaben-Zugehörigkeit auf verschiedene Arten den Körper verlassen. Die einen im Blümchenkleid mit Flügeln, die anderen im schwarzen Anzug mit Propellern, wieder andere mit Glitzerkleid und pinken Federn oder mit Haitikleid und Feigenblättern. Was für eine quere Vorstellung.
Die Seelen suchen sich ihren Weg dorthin, wo sie gerne hinmöchten. Und das tun sie mit Sicherheit so, wie sie das möchten. Wie gut, dass wir da nicht auch noch dreinreden können.
Eines ist inzwischen aber sicher: Die Schubladen in unserem Denken werden immer mehr und sie werden immer bunter. Das alte verschrobene Möbel mit den zwei Schubladen ist schon lange nicht mehr im Gebrauch. Falls doch, bitte wenigstens bunt streichen. Danke!
Ich fände es wunderbar, wenn wir irgendwann keine komischen Abkürzungen, Zuordnungen und Bewegungen mehr bräuchten, um Menschen zu klassifizieren. Letztlich sind es nämlich einfach alles Menschen. Sie putzen sich die Zähne, sie gehen aufs Klo, sie pupsen, sie holen hin und wieder einen Popel aus der Nase und schneiden sich die Finger- und Zehennägel. Sie gehen zur Arbeit, zahlen ihre Rechnungen und sind Teil dieser Gesellschaft. Mehr nicht. Könnten wir uns also irgendwann einfach darauf einigen, dass man – wo auch immer – nicht mehr ankreuzen muss, zu welchem Geschlecht oder welchen sexuellen Neigung man sich bekennt, sondern dass es einfach ein Mensch ist, der seine Unterschrift irgendwo auf ein Papier kritzelt?
Meine Güte – wir sind ja so unglaublich kompliziert!
Heute wäre Dein Geburtstag – Dein Hundertster! Jedes Jahr an diesem Tag denke ich besonders fest an Dich.
Warum das für mich so wichtig ist? Nun ja, weil Du für mich immer eine prägende und unfassbar wichtige Person im Leben warst. Du warst nicht nur eine charismatische Persönlichkeit mit einem unglaublich kreativen Geist, Du warst eben auch mein Grossvater.
Ich durfte Dich von einer besonderen Seite kennen. Du warst wohl mit Leib und Seele Unternehmer und Pionier, aber eben auch genauso Mensch mit Herz und Humor. Der Schalk in Deinen Augen hat mir immer signalisiert, ob Du nun ein Witzchen machst, oder ob Du es ernst meinst. Du hast es geliebt, uns immer wieder zu veräppeln, um Dich dann köstlich zu amüsieren, wenn wir verdutzt aus der Wasche geguckt haben. Ich weiss gar nicht, ob es jemanden gibt, der Deinem Lieblingsspiel entkommen konnte. Das ging nämlich jeweils folgendermassen:
Wenn im Restaurant oder zu Hause der Nachtisch serviert wurde, dann hast Du mit grossen Augen an einem vorbeigeschaut und gerufen: „Jetzt guck mal, wer da kommt!?“ Hat man sich umgedreht, war der Nachtisch weg! Zack!! Du hast ihn Dir geschnappt und versteckt. Ich weiss nicht, wie oft in meinem Leben ich nach meinem Nachtisch gesucht habe, aber ich erinnere mich noch, dass ich mich irgendwann nicht mehr umgedreht habe, ohne nicht meinen Nachtisch vorher in meinen Händen zu sichern … 🙂
Ich weiss, dass Du jetzt irgendwo da oben grinst, wenn Du das liest. Und Du liest mit Sicherheit mit – Du hast nämlich immer jede Zeile gelesen, die ich geschrieben habe. Meine ersten Gedichte sind an unserem gemeinsamen Lieblingsplatz im „Bärghüsli“ in Près d’Orvin entstanden: am runden Tischchen vor dem Cheminée. Du hast gezeichnet, getüftelt, radiert und berechnet. Ich habe auf dem Stuhl neben Dir geschrieben und mit Dir die Vögel auf dem Vogelhaus vor dem Livingroom studiert. Du hast jeden Vogel mit Namen gekannt und ich habe immer überlegt, warum Du das wohl alles weisst.
In meiner Erinnerung habe ich ganz viel Zeit mit Dir in Deinem Flugzeug verbracht. Du hast es geliebt, mit uns wegzufliegen. Und für mich war deshalb sonnenklar, dass Du nach Deinem Tod irgendwo in die Lüfte entschwunden bist. Es gibt Momente, da weiss ich nicht, warum ich fasziniert nach oben schaue und einem Bussard verzückt beim Flügelschlag zuschaue. Und dann fällt mir ein: Da bist Du! Irgendwo da oben bist Du und deshalb hat sich mein Blick nach oben seit Deinem Tod verändert.
Möchte ich erzählen, was ich alles mit Dir erleben durfte, würde es den Rahmen hier sprengen. Aber es war viel und es war eindrücklich. Du hast mich viel gelehrt und mir viel gezeigt. Und auch wenn ich damals nicht verstanden habe, warum Du mit Deiner eher kleinen Körpergrösse immer als gross bezeichnet wurdest, so war es mir später mehr als klar. Du hast unglaublich viele Menschen auf eine Weise geprägt, die tiefe Erinnerungen hinterlassen hat. Ich war immer unglaublich stolz, Dich als Grossvater zu haben. Du warst deshalb auch mehr als einmal das Thema in meinen Vorträgen und Schulaufsätzen. Und jetzt – selber schon Grossmutter – schreibe ich zu Deinem 100. Geburtstag erneut über Dich. So, wie Du es Dir an Deinen Geburtstagsfesten immer gewünscht hast: „Schribsch es Värsli für mi?“
Ich bin so gut wie nie an Deinem Grab – nur einmal im Jahr, wenn es die Tradition verlangt. Für mich bist Du dort nicht. Du bist überall – überall wo Flugzeugmotoren brummen, wo Vögel zwitschern, wo man sich frei und unabhängig fühlt. Und Du bist in meinem Herzen. Dort wirst Du auch bleiben, für immer.
Wo auch immer Du jetzt in diesem Moment sein magst: Heute darfst Du meine „Meringue“ (unser gemeinsamer Lieblingsnachtisch) klauen – weil es Dein Hundertster ist.
Ich heisse Covid, bin 19 (Tage, Monate, Jahre … egal!) und lebe seit einer Weile unter euch. Als ich mich auf den Weg gemacht habe, da dachte ich nicht im Traum daran, dass ihr mir so leichtes Spiel machen würdet. Ich hatte ja die Befürchtung, ihr würdet euch hermetisch abriegeln und dafür sorgen, dass ich nirgendwo eine Chance hätte, Fuss zu fassen. Ein Weilchen sah es sogar danach aus, als ob ihr das tatsächlich durchziehen möchtet … aber dann, als ihr dachtet, ihr hättet mich durchschaut, da habt ihr euch wieder sicher gefühlt und seid zurück zum normalen Alltagswahnsinn gegangen.
Als ihr alle mit den lustigen Dingern vor dem Gesicht rumgerannt seid, da hatte ich echt ein Problem … jeder Anlauf von mir wurde durch diese weissen, blauen und bunten Sachen in euren Gesichtern geblockt! Und meine Sprungkraft war zu wenig stark, als dass ich es geschafft hätte, von einem zum anderen zu hüpfen – ihr hattet ja auch immer soviel Luft dazwischen. Da hab ich mich ein paarmal ganz schön auf die Schnauze gelegt. Ich hatte auf einmal das Gefühl, bei euch nicht willkommen zu sein. Das war ganz schön hart für mich und meine Familie. Wir hatten in dieser Zeit ein schweres Los bei euch. Ich war schon drauf und dran, für mich und mein Gefolge den Untergang zu planen … doch dann: Auf einmal war alles wieder anders! Die Barrieren vor euren Gesichtern waren weg – ihr seid wieder zusammengerückt, ihr kommt wieder in grossen Mengen und unser Spiel bei euch macht wieder Spass. Ich habe wieder meinen alten Spazierweg gefunden … ich muss nicht einmal mehr springen – mit offenen Armen empfangt ihr mich wieder in eurer Mitte. Selbst die Barrieren sind fast alle abgebaut. Ihr habt sogar angefangen, euch laut schreiend auf Plätzen zu versammeln, um meinetwegen zu protestieren – das finde ich besonders cool. Da lasse ich jeweils meine ganzen Freunde noch kommen und wir hüpfen gemeinsam mit euch mit – mal beim einen, dann beim anderen. So macht das Leben als Covid so richtig Spass!
Als ich mich auf den Weg zu euch gemacht hatte, da wusste ich noch nicht, dass ihr dümmer sein würdet, als ich. Man hatte mir mal erklärt, dass ihr mit euren zwei Beinen intelligent und mit allen Wassern gewaschen seid. Ich bin froh, dass nichts davon stimmt! Man hat uns auch vor dem Ding namens „gesunder Menschenverstand“ gewarnt! Ich bin echt froh, dass wir dem noch nie begegnet sind – uns wurde nämlich prophezeit, dass dieses Ding uns womöglich den Garaus machen könnte. Macht doch bitte einfach weiter so, ich und meinesgleichen finden es bei euch echt gemütlich und wir denken, dass wir nicht nur bleiben werden, sondern dass wir uns so auch wunderbar vermehren können.