von süss bis ungeniessbar

Obdachlos trifft auf Dekadenz

Eine Woche in der wunderschönen Hansestadt und die Wehmut vor der Abreise macht sich breit. So ist das immer, wenn wir wieder hier sind. Jedesmal fragen wir uns, warum wir eigentlich nicht einfach bleiben. Und doch fliegen wir immer wieder zurück in die Schweiz. Und jedesmal ärgert mich hier genau dasselbe Verhalten vieler Menschen:

Da sitzt eine Frau Ü60 (ganz offensichtlich Einheimische) vor dem teuersten Einkaufscenter Hamburgs mit ihrem Plastikbecher in der Hand und fragt um Geld – und 99% der gut betuchten Menschen gehen achtlos an ihr vorbei und tun so, als ob sie die Frau nicht sehen würden. Hallo? Ich meine: Wer im Alsterhaus einkaufen kann, hat doch wohl auch ein paar Cent für eine Frau übrig, die über ihren Schatten springen und um Geld betteln muss, weil man hier ohne Job keine Wohnung und ohne Wohnung keinen Job bekommt.

Ich habe mich mit der Frau auf ein Gespräch eingelassen und habe – anstatt des Einkaufs – einen 50-Euro-Schein bei ihr gelassen. Sie hat mich gebeten, mich dafür umarmen zu dürfen: „Ich habe auch nichts Ansteckendes“, meinte sie dazu noch entschuldigend. Natürlich habe ich sie umarmt. Und natürlich habe ich mich für all die operierten Näschen und aufgespritzten Lippen geschämt, die einfach an ihr vorbeigegangen sind, ohne sie überhaupt zu beachten.

In den Kneipen ist das Betteln ja verboten – ausser in der Bullerei bei Tim Mälzer. Da dürfen die Bedürftigen rein und ihre Zeitschriften oder ihre Bücher an den Tischen anbieten und um eine Spende bitten. Und da habe ich mich wieder nerven müssen. Die meisten Leute essen einfach weiter und tun so, als ob diese Menschen gar nicht existieren würden. Sie ignorieren sie einfach! Was soll das? Ich meine: Es ist jedem selber überlassen, ob er etwas geben möchte; aber man kann doch zumindest „nein danke“ sagen, oder fällt einem da ne Zacke aus der Krone? Man stelle sich mal vor, man müsste abends von Tisch zu Tisch gehen und Menschen mit vollen Tellern darum bitten, eine kleine Spende zu geben. Alleine das braucht ja schon eine Menge Überwindung. Aber wie weh muss es tun, wenn man dann einfach kalten Arsches ignoriert wird? Ich finde das unflätig – jenseits von anständig und überhaupt schäme ich mich dann regelmässig fremd bis zum Abwinken.

Und man möge mir jetzt bitte nicht erklären, dass jeder Mensch das selber in der Hand hat. Nicht hier in Deutschland. Wer da mal durch den Raster des Alters, der Gesundheit (Krankheit) oder sonstiger Paragraphen gefallen ist, der kommt kaum noch auf die Beine. Also bitte: Gerade hier in Hamburg ist die Dichte an Reichen und Schwerreichen auffallend, da dürfte es doch nicht so schwer sein, den eigenen Leuten zu helfen. Oder erleichtert man das Gewissen lieber, indem man noch ein paar hundert Flüchtlinge aufnimmt und dann meint, damit sei es getan? Wo bleibt die Solidarität zu den „Nachbarn“ hier?

So – ich habe fertig geschimpft!

Papier ist geduldig

Wie jedes Jahr um diese Zeit, ist auch in diesem Jahr die „Bilanz“ wieder an jedem Kiosk zu kaufen. Erfahrungsgemäss die meistgelesene Bilanz, denn da stehen die 300 Reichsten der Schweiz drin – mit Angabe ihrer Vermögen.

Und genau da haben wir die Krux! Es ist nämlich kaum anzunehmen, dass die Vermögenden des Landes einfach mit ihren Zahlen um sich schmeissen. Und drum sitzen auf der Redaktion der Bilanz 32 fleissige Schreiberlinge, die – oftmals mangels gesicherter Informationen – einfach mal so aus der Luft ein paar Zahlen nehmen und diese dann abdrucken. Hoch lebe die Pressefreiheit. Otto Normalverbraucher liest dann, dass Familie Blocher mit einem „geschätzten“ Vermögen von 11 – 12 Milliarden Schweizerfranken zu den „Aufsteigern“ des Jahres gehört. Man läuft Gefahr, dabei zu meinen, dass diese Milliarden Bargeld seien, welche auf der Bank liegen. Totaler Quatsch! Da werden sämtliche Firmen, Immobilien und Anlagen bewertet und dann Handgelenk mal Pi eine Zahl rausgehauen, welche dann mit „geschätzt“ verbreitet werden darf. Aha …

Was mich zusätzlich ärgert ist die Tatsache, dass von diesen Reichen Bildern abgedruckt werden, welche irgendwo der Hochglanzpresse entnommen wurden. Da sieht man den Manager auf dem Golfplatz, den Unternehmer auf dem roten Teppich oder den Maschinenbauer im Smoking. Man könnte annehmen, dass dies einen Eindruck des Lebens der Reichen vermittelt – was natürlich wieder totaler Blödsinn ist. Kein reicher Mensch lebt 24/7 so. Es sind nämlich auch einfach Menschen.

Der Supergau in der diesjährigen Bilanz ist aber die Betitelung von Hansjörg Wyss (Pharma und Beteiligungen), der als Absteiger des Jahres gehandelt wird. Wie kann man jemanden als Absteiger betiteln, der 6 Milliarden (die Hälfte) seinen Vermögens für das Gemeinwohl spendet? Da ist die Wortwahl aber gehörig misslungen, liebe Redaktoren. Jemand, der die Hälfte seines Vermögens weiterverschenkt, der ist für mich ein Gewinner – aber das ist leider fernab der Bilanz.

Jahr für Jahr ärgere ich mich über dieses Hochglanzmagazin, welches jene Menschen auf den Präsentiersteller legt, die den Schweizer Arbeitsmarkt sichern. Ich wäre sehr dafür, dass man die 32 Rechercheure der Bilanz einmal so Handgelenk mal Pi durchleuchten würde, um sie genauso an den Pranger zu stellen. Das gäbe bestimmt ein lustiges Magazin. Ich würde es kaufen … um mich daran zu erfreuen, wie simpel solche Menschen gestrickt sind.

Gern geschehen

Da spaziere ich mit dem Tochterkind und klein Ellie durch unsere Bundeshauptstadt Bern und mein Herz blutet. Dass in jeder Stadt Bettler unterwegs sind, ist mir durchaus bewusst. Diese entsprechen meist dem gängigen Klischee: Nicht gewaschen, versifft, ungepflegt, nach Alkohol stinkend, wackelig auf den Beinen und nicht selten mit ein oder zwei Hunden ausgestattet. Was uns aber jetzt passiert ist, lässt mich arg ins Grübeln kommen. Weiterlesen

Hochgebildet, steinreich und extrem schön!

Dieser Titel stammt nicht von mir – ich habe ihn aus einer Tageszeitung, welche darüber berichtet, dass die internationale Geldelite eine eigene Partnerbörse hat. Und weil ich das nicht glauben konnte, habe ich den Artikel sogar gelesen.

10’000 Euro Mitgliederbeitrag und ein jährlicher Beitrag von 5’000 Euro zusätzlich, das ist das Eintrittsgeld, um in den Reigen der klugen, reichen und schönen Menschen aufgenommen zu werden. Allerdings ist das nur der finanzielle Beitrag. Weiterlesen

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