von süss bis ungeniessbar

Brave Kinder machen Musik

Meine Jahrgänger werden wissen, was der Titel meines Beitrages aussagen will. Als wir Kinder waren, stand es gar nicht zur Debatte, ob ein Kind Blockflöte spielt, oder nicht. Es hatte einfach den Musikunterricht zu besuchen. Die musikalische Förderung war damals irgendwie ein Muss, warum auch immer. Ich spielte also – wenig begeistert – Blockflöte und wurde anschliessend dazu verdonnert, Klavierstunden zu nehmen. Schliesslich schenkten meine Eltern mir auch ein Klavier, damit ich regelmässig üben konnte. Meine Mama war eine grosser Fan vom Klavierspiel, denn sie hätte immer gerne Klavierstunden genommen – sie durfte aber nicht. Und wie Eltern es oft so haben: Was sie selber gerne gemacht hätten, muss dann der Nachwuchs tun.

Ich durfte also ein Klavier auslesen – und ich hatte mich zu freuen. Irgendwie tat ich das auch, denn meine Freundinnen hatten schliesslich kein Klavier. Aber die Freude war ziemlich schnell vorbei, als die Klavierstunden begannen. Das hatte zwei Gründe: Erstens hatte ich Angst vor meinem Klavierlehrer und zweitens hasste ich das Üben. Hinzu kommt, dass ich an meinem schulfreien Nachmittag (Mittwoch) immer Klavierstunde hatte. Besonders schlimm war das im Sommer, wenn die anderen in die Badeanstalt fuhren, um Spass zu haben, und ich zum Klavierunterricht gehen musste. Habe ich schon erwähnt, dass mein Klavierlehrer rauchte wie ein Kamin? Und zwar IM Musikzimmer. Ich war immer kurz vor dem Ersticken. Damals interessierte das noch keine Menschenseele. Da war das noch erlaubt. Aber wehe, ich hatte einmal einen Schnupfen. Er hatte nämlich eine absolute Virenphobie. Dann wurde ich zusammengestaucht und musste, wenn ich mir die Nase schneuzte, das Taschentuch draussen auf dem Korridor entsorgen. Der Abfalleimer im Musikzimmer durfte nämlich nicht virenverseucht sein. Ich war mir immer sicher, dass mein Klavierlehrer etwas Diabolisches in sich trug. Das ging so weit, dass sich sogar meine Mama mit dem Lehrer zerstritt, weil er mich immer zupaffte, von mir aber nicht einmal einen Schnupfen akzeptierte. Irgendwann fand ich es derart unerträglich, dass meine Eltern ein Einsehen hatten, und mich aus dem Unterricht „entliessen“. Hurra! Ich war endlich frei. Keine Klavierstunden mehr.

Weil ich meine Musikkarriere nur in schlechter Erinnerung hatte, stellte ich meinen Kindern frei, ob sie Musik machen wollten, oder nicht. Sie entschieden sich dagegen, sodass ich mich vor 10 Jahren endlich von meinem Klavier trennte. Ich hatte es ohnehin immer nur als Ablagefläche gebraucht.

Drum, liebe Eltern: Wenn der Nachwuchs keine Anstalten macht, musikalisch durchstarten zu wollen, dann erspart ihm das. Eine kindliche Entwicklung kann sehr gut auch ohne Musikunterricht stattfinden.

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26 Kommentare

  1. sba

    Liebe Dani,
    ich behaupte: Die Nutznießer dieses Leidens Deiner Generation ist meine Generation. Jedenfalls dann, wenn die Instrumente aus Elterns Kinderzeiten noch in der Gegend herumgeistern und so schrecklich interessant sind, weil man mit ihnen so herrlich nervige Sachen anstellen kann. Nur Leid tut mir, dass damit Euereins bisweilen doppelt unter dem Anspruchsdenken Eurer Eltern leidet. Andererseits bin ich froh, die Gelegenheit – zwanglos – gehabt zu haben.

    • modepraline

      Das mit den herrlich nervigen Sachen finde ich besonders gut! 🙂

  2. mmegraceo

    Hallo,
    Ich habe in der Grundschule auch Blockflöte gespielt. Da ich mich nicht mehr erinnern kann, wie es dazu kam, vermute ich, dass es ebenfalls auf die Initiative meiner Eltern hin war. Später habe ich mich dann aus eigenem Antrieb für Gitarrenunterricht interessiert und danach noch Saxophon gelernt. Inzwischen spiele ich nicht mehr. Ich habe einfach zu wenig Zeit zum üben. Ich glaube ich würde meine Kinder schon zum Blockflöten Unterricht schicken. Einfach damit sie eine Idee davon bekommen, was es heißt ein Instrument zu lernen. Dann könnten sie selbst entscheiden, ob sie mit einem anderen Instrument weiter machen oder nicht

  3. Papageno

    Ich sage meinen Schülern, dass, wenn etwas nicht läuft wie es sollte, ICH schuld bin. Dass ich zu wenig genau erklärt habe oder zu unklar, was ich meinte, mir vorstellte. Ich habe auch Blockflöte gelernt, dann kam Klavier dazu. Vielleicht hatte ich Glück, immer Lehrerinnen zu haben (beim Klavier. Anders bei der Stimme). Die erste war ein Multitalent: Sie hat Blockflöte, Klavier, Gitarre, Geige, Akkordeon unterrichtet. Im Internat ging ich in den Klavierunterricht, um nicht Studium betreiben zu müssen. Da hatte ich eine französische Klavierlehrerin. Nach dem Internat hatte ich eine attraktive junge Klavierlehrerin. Die hat dann aber geheiratet. Und als Höhepunkt hatte ich eine wahrscheinlich etwa 70jährige Konzertpianistin als Lehrerin. Es war immer ein Schritt vorwärts. Aber es liegt einfach an der Lehrerin, dem Lehrer, Freude am Instrument zu vermitteln. Nicht Angst zu machen, was ich leider auch schon gehört habe….. Und wer weiss, vielleicht bekommt das Modepraline plötzlich doch wieder Lust, in die Tasten zu greifen. Es muss nicht richtig tönen aber begeistert 🙂

    • modepraline

      Oh nein, die Modepraline hat eine akute Tastenallergie! Aber richtig feste! 🙂

      • Papageno

        🙂

  4. silvergranny

    Oh weia, da kommen Erinnerungen hoch..ich war kein „typisches braves Mädchen“, also irgendwie schon..weil verträglich und höflich, aber eben nicht so wie damals ein Mädchen sein sollte.
    Kleidchen..nein! Die weißen Strumpfhosen zum Kleid, waren spätestens nach dem sonntäglichen Kirchenbesuch oder Sonntagsspaziergang (gäähn) hinüber, weil ich lieber rannte, als zu gehen und deshalb auch oft auf den Knien landete.
    Also lieber rein in die rote kurze Lederhose den ganzen Sommer lang. Man nannte mich auch manchmal im Kindergarten und Schule das ‚Zigeunerkind‘, weil ich sehr dunkle Haare hatte und auch die Haut sehr braun war. Ich kletterte halt lieber draußen auf den Bäumen mit den Nachbarjungs, als Klavier zu üben.
    Und da wären wir beim Klavier..ich war schon musikalisch und da sparte sich meine Mutter das Klavier und die Stunden vom Munde ab..wir mussten damals wirklich sehr sparen.
    Und Klavierstunden waren für wohlerzogene Mädchen wichtig. Ich glaube ich hätte lieber getrommelt oder so.
    Ich fand es anfangs sehr schön, aber mit der Zeit wurde es echt blöd, wenn „Fräulein“ Kuhn am Nachmittag kam und mich unterrichtete.
    „Fräulein Kuhn“ darf ich jetzt sagen, weil sie wahrscheinlich seit ca.20 Jahren nicht mehr unter uns weilt und weil wegen des „Fräulein“ es auch unwahrscheinlich ist, daß Nachkommen hier mitlesen.
    Das Fräulein bekam von meiner Mama eine Tasse Kaffee und 2-3 Kekse serviert und dann hat sie während des Unterrichtes mit mit einem Taktstock auf meine Finger geklopft, wenn diese nicht die ordnungsgemäße Haltung auf den Tasten hatten.
    Als Erinnerung bleibt mir nur der Kaffeegeruch aus dem Mund des Fräulein (Kinder mögen ja Kaffee meistens nicht so gerne) und die Spielgeräusche der anderen Kinder draußen…wo ich viel lieber dabeigewesen wäre!
    Das Fräulein blieb irgendwann weg (warum eigentlich?) und dann kam Herr M…., er kam immer mit dem Fahrrad, auf dem hinten ein Akkordeon festgeschnallt war.
    Er begleitete die Klavierstücke mit diesem Instrument (Polka und so..) na ja es war etwas besser und lustiger als mit dem Fräulein, aber meine Mutter hat es dann doch irgendwann aufgegeben mit meinen Klavierkünsten!

    • modepraline

      Ich lach mich schlapp – Dein Kommentar wäre ein Beitrag….willst Du ihn nicht als Beitrag aufschalten. So witzig! 🙂

      • Silvergranny

        Öhm, danke sehr… Manchmal sprudelt so etwas einfach aus mir raus.
        Und das mit dem Beitrag kann ich nicht. Techniklegasthenikerin !
        Das passt schon so😜
        Ich wünsche frohe Ostern allerseits 🐰🐓🐥

        Wir hatten heute schon eine „Vorosterfeier“, weil mein Bruder mit Familie aus dem Ausland hier war und sie nachmittags wieder Richtung Heimat fuhren.
        11 Große Leute und 3 Kleinkinder! Puh…!
        Oma und Tante ist : puttaputt ..das ist das Wort von meinem Enkel für kaputt😜
        Trifft voll zu!

      • modepraline

        Puttaputt….kreisch! 🙂

  5. Ü60

    Oh wie ist die Welt doch ungerecht! Ich hätte ein Königreich für Klavierunterricht und ein Klavier gegeben, jedoch bei mir blieb es bei der Blockflöte, na was solls, es hätte wohl nicht zur Konzertpianistin gerreicht.

    • modepraline

      Lustig, dieser Satz könnte von meiner Mama sein! 🙂

  6. schnipseltippse

    Bei mir spielt nur Nr.4 ein Instrument. Bekannte hatten ein Klavier zum Entsorgen und ich nahm es (ohne große Pläne, ich spiele selbst nicht, aber fand es immer toll, eins zu haben). Tja, Nr.4 interessierte sich dafür, wie gingen eine Std schnuppern und es war ein Reinfall. Laaangweilig!
    Ein Jahre später neuer Versuch bei einer Ukrainerin … Super! Ganz anderer Ansatz. Sie konnte nach der ersten Std das erste Lied spielen mit zwei Händen. Das hat motiviert und so spielt sie jetzt schon seit 4 Jahren mit viel Spass an der Sache.

  7. hansarandt

    Mir ging es ähnlich, ich musste auch Klavierunterricht nehmen bei Frau V., die der Kinderschreck im ganzen Stadtteil war. Sie war sehr streng und ich musste immer Heulen, bevor ich hinging, und noch mehr heulen wenn ich wiederkam. Meine Eltern hatten irgendwann ein Einsehen und erlösten mich von meinen Leiden.
    Später lernte ich Strom-Gitarre, ohne Lehrer, erst mal von meinem Vetter und dann von Freunden und das meiste als Autodidakt. Ich liebe und spiele dieses Instrument bis heute.
    Am liebsten hätte ich Musik studiert und wäre Popstar geworden, das war mir aber nicht vergönnt.
    Es kam wie es kommen musste. Unser Sohn hat Klavier gelernt und studiert jetzt Musik. So erfüllen sich die Wünsche der Eltern in der nachfolgenden Generation.

  8. anneinsideoffice

    Mir gings mit meinem Klavierlehrer ähnlich, der war echt ein A… ;-( Dafür habe ich vorher gerne Blockflöte gespielt.
    Bei meinen Kindern war es ähnlich: Blockflöte haben alle 3 gerne gespielt. Da war der Unterricht auch in Gruppen und wurde vom Klassenlehrer gegeben, der sie auch pädagogisch gut abholte.
    Danach spielte die Tochter ein paar Jahre Klavier, der Älteste zupfte an der Gitarre. Der jüngste liess es ganz bleiben.
    Das Klavier steht jetzt bei uns im Schlafzimmer und dient als Ablage für meine Sportklamotten…aber so alle 2-3 Jahre packt es mich, ich lasse das Klavier stimmen und spiele wieder ein paar Wochen lang regelmässig.

    • modepraline

      Bin mal gespannt, wie lange es dauert, bis Du es verkaufst…. 🙂

      • anneinsideoffice

        Das lohnt sich doch nicht mehr…das Ding ist fast 40 Jahre alt..

      • modepraline

        War bei mir auch so – habe eine glückliche kleine Abnehmerin gefunden, die sonst nie ein Klavier bekommen hätte – und ich war den Staubfänger los! 🙂

  9. Plietsche Jung

    Ob die heutigen Helikopter-Eltern das schaffen? Neben Ballett und Reiten ?

    • modepraline

      Ich finde den Begriff Helikopter-Eltern so zum Kreischen und weiss erst seit Kurzem, dass es diesen überhaupt gibt. 🙂

      • Plietsche Jung

        Und es ist so bezeichnend. Die Folgen für die Kinder sind sehr tragisch.

  10. Summer

    Ganz genau. Ebenso mit Sport.
    Liebe Grüße, Summer

    • modepraline

      Da blieb ich glücklicherweise verschont – ich war dermassen unsportlich. Nur ins Ballett musste ich, wegen der schlechen Haltung – und das habe ich auch gehasst.

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