von süss bis ungeniessbar

Sonntagsschlagzeile

Draussen ist es düster und regnerisch, wie eigentlich gefühlt schon den ganzen Sommer hindurch. Und dann schreit mich da noch dieser Headliner aus der SonntagsZeitung an: Ärzte klagen, dass sich Patienten wie Könige benehmen würden. Ach … soso?!

Ich muss dazu etwas sagen, sonst platze ich leider. Und zwar: Es wurde auch ZEIT!!! Jahrzehnte lang war es nämlich so, dass die Ärzte sich wie Könige benommen haben. Vermeintlich allwissend haben sie in ihren weissen Kitteln den Patienten das Gefühl gegeben, von nichts eine Ahnung zu haben und haben sie oft genug mit Medikamenten abgefertigt, ohne ihnen überhaupt richtig zugehört zu haben. Die Zeit der Götter in weiss ist vorbei – und ich bin froh darüber!

Zugegeben, ich gehöre zu den unangenehmsten und vermutlich auch unbeliebtesten Patientinnen auf Erden. Ich lese, hinterfrage, bin kritisch, ungemütlich und manchmal sogar aufsässig. Warum? Nun ja, ich bin nicht total doof, auch wenn ich nicht Medizin studiert habe. Und ich wage zu behaupten, dass ich durchaus in der Lage bin, mich in Materien einzulesen, die eigentlich nicht zu meinem Alltag gehören. Das führt dazu, dass ich lange nicht alles glaube, was der Onkel Doktor mir erzählt. Zum Glück!!!

Ich war bislang nie wirklich ernsthaft krank – dem Universum sei gedankt. Ich begleite aber einen Herzmenschen mit einer ernsthaften Erkrankung und – das tue ich schon das 8. Jahr. So lange ist es nämlich schon her, dass die Mediziner uns erklärt haben, dass wir alles regeln sollen, in ein paar Monaten sei dann ende Gelände. Ja, gemäss medizinischen Studien, Erfahrungswerten und mehrfachen Aussagen hat man uns bereits zu Beginn schon aufs Abstellgleis gestellt. Aussagen wie:

„Eilt nicht mehr, ist sowieso nichts mehr zu machen.“
„Am besten regeln sie gleich hier im Krankenhaus alles, nach Hause kommen sie vermutlich nicht mehr.“
„Wir müssen ihnen leider sagen, dass das sehr schlecht aussieht.“

ja, solche Aussagen flogen uns gefühlt täglich um die Ohren. Wir haben NICHT darauf gehört und ich habe angefangen, mich selber in die Materie einzuarbeiten. Alle Optionen, die es auf dieser Welt gibt, wollten wir ausschöpfen. Wir waren nicht bereit, uns einfach aufs Gleis der Totgeweihten stellen zu lassen.

Das erarbeitete Wissen, gepaart mit ganz viel Kampfgeist und der Frechheit, den Göttern in weiss auch mal die Stirn zu bieten, hat uns nun schon bis ins 8. Jahr nach Diagnose getragen. Die Mediziner können es nicht verstehen. Wir irgendwie schon. Hätten wir nämlich einfach alles geglaubt, was man uns gesagt hat, hätte die Psyche dafür gesorgt, dass wir den Schalter auf OFF gelegt hätten. Und dann ist man schneller tot, als man diese drei Buchstaben überhaupt aussprechen kann.

War und ist es einfach? NEIN!!! Und es hat auch diverse Kämpfe gebraucht – und die braucht es immer noch. Inzwischen herrscht bei uns der Running-Gag, dass in allen Krankenhäusern und Arztpraxen die Alarmglocken schrillen, wenn ich die Schwelle übertrete. Mir hat einmal ein lieber Arzt gesagt: „Wenn sie mit ihren Augen Blitze werfen, traut sich kein Mensch mehr, zu widersprechen.“

Ergo: Ich werde weiter blitzen! Für mich, für meine Liebsten und für alle, die sich selber nicht zu wehren wissen. Wir haben nämlich durchaus das Recht, mit hohen Ansprüchen in eine Sprechstunde zu gehen. Das höchste Gut ist schliesslich unser Leben und unsere Gesundheit!

P.S.: Es gibt ein paar löbliche Ausnahmen im Reigen der weissen Kittel. Und denen gilt dieser Text NICHT! Die schätzen nämlich, dass die Patienten mitdenken – weil sie selber sagen, dass sie nicht ALLES wissen und sehen können. DANKE dafür.

Patienten für Patienten

Aus einer Idee habe ich eine medizinische Facebook-Gruppe gegründet, welche keinen kommerziellen Zweck verfolgt. Alle, die auf Facebook einen Account haben, dürfen gerne dazu stossen. Auf Fragen von Patienten können möglicherweise andere Patienten Antworten oder Erfahrungswerte liefern. So die Idee!

https://www.facebook.com/groups/161615792460067

Der Antrieb dafür kam bei mir, weil ich aufgrund vieler verschiedener Ereignisse immer wieder erfahren musste, dass einem oft nur geholfen wird, wenn man zur richtigen Zeit die richtigen Fragen stellt. Oder aber die Ärzte meinen, sie hätten einem mit ihren Auskünften geholfen – in Wahrheit hat man aber kein Wort von dem verstanden, was der hochdekorierte Mensch im weissen Kittel gerade von sich gegeben hat. Und weil man sich schämt, fragt man nicht nach.

Zudem gibt es jene Patienten, die ganz fest daran glauben, dass er immer und überall die bestmögliche Betreuung bekommt, die er sich wünscht oder verdient. Dem ist leider aber oft nicht so. Entweder, weil keine Zeit, keine Ressourcen oder ganz einfach kein Interesse da ist.

Und wenn man dann mit etlichen offenen Fragen zu Hause sitzt und Angst hat, weil man sich dadurch verunsichert und dumm fühlt, dann wünscht man sich nicht selten, dass man seine Fragen jemandem stellen könnte, der möglicherweise schon ähnliches erlebt hat. Quasi eine Zweitmeinung von Betroffenen oder solchen, die jemanden begleiten.

Dafür habe ich diese Gruppe gegründet. Und ich hoffe, dass ein reger, fairer und empathischer Austausch stattfinden wird, der allen zu Gute kommt. Und bei welchem man keinen Franken in die Hand nehmen muss, um sich möglicherweise danach etwas sicherer zu fühlen.

Wartezimmer in der Onkologie

Grundsätzlich finde ich Wartezimmer bei Ärzten etwas Unangenehmens. Ich habe bei jedem Atemzug das Gefühl, mich mit etwas anzustecken und anfassen mag ich ohnehin schon gar nichts. Es kommt nicht selten vor, dass ich der Praxisassisstentin sage, ich warte draussen an der frischen Luft, sie könne mich holen, wenn ich dran sei.

In der Onkologie ist das anders. Krebs ist bekanntlich nicht ansteckend – was aber nicht bedeutet, dass das Warten im Wartezimmer der Onkologie angenehmer wäre. Ich mache diesen Besuch so alle 3 bis 4 Wochen mit meinem Göttergatten und es gibt Tage, da sind diese Besuche kurz und schmerzlos. Und es gibt Tage, da ist das Wartezimmer so voller Schicksale, dass mir schon vor der Sprechstunde beim Onko-Doc der Atem stockt.

Nach 18 Monaten Leben nach den Onkoregeln weiss ich, wie belastend dies sein kann. Sowohl für den Patienten, als auch für sein Umfeld. Und an Tagen wie heute, an welchen das Wartezimmer voller Patienten ist, die miteinander ins Gespräch kommen und deren Schicksale offen diskutiert werden, realisiere ich einmal mehr, wie glücklich man sich schätzen kann, wenn man gesund ist. Im Onkowartezimmer sind nämlich irgendwie alle gleich – einfach nur dankbar, wenn sie mit der Hoffnung aus der Sprechstunde entlassen werden, dass es wieder gut wird. Und da sitzen sich Jung und Alt gegenüber – manche reden, anderen wortlos und mit ängstlichem Blick.

Es gibt Tage, an welchen wir lange warten müssen, weil nunmal jeder Patient das Recht auf eine einzigartige Behandlung hat. Und das darf ruhig dauern. Dann studiere ich regelmässig die Menschen, die im Wartezimmer sitzen und überlege mir, welches Schicksal sich wohl hinter jedem Einzelnen verbergen mag. Eines ist sicher: Ein Leben mit Krebs ist NIEMALS schön – egal welches Gesicht die Krankheit zeigt. Aber es kann durchaus lebenswert sein. Der Göttergatte macht es bislang wunderbar vor. Er nimmt Tag für Tag und geniesst alles, was er machen kann. Und er macht soviel wie nur geht – Aufschieben ist nicht mehr!! Es kann aber auch über Nacht ändern und auf einmal ist es kein Leben mehr, sondern ein Durchhalten. Auch jenen Patienten begegnet man dort. Und dann frage ich mich immer: Wie lange kann ein Mensch eine derart gemeine Krankheit ertragen, wenn es nur noch durchzuhalten gilt, bis das Ende kommt? Ich ziehe meinen Hut vor jedem, der mit einer Krebs-Diagnose umzugehen versteht – der damit leben muss und der sich von der Angst nicht auffressen lässt. Ich weiss nicht, ob ich so tapfer wäre – oder ob ich mich in eine Ecke setzen und auf den Tod warten würde.

Aber eines weiss ich: Man kann sich auf so eine Diagnose und den Weg danach niemals vorbereiten – es gilt, Tag für Tag zu nehmen und das Glas so lange wie möglich halb voll zu sehen. Leer wird es ganz von selber, drum sollte man jeden guten Tag geniessen. Und das gilt nicht nur für Krebspatienten. Das gilt auch für alle Gesunden: Jeden Tag geniessen, es kann alles so schnell vorbei sein! Und wenn ihr das nächste überlegt, was man alles auf später verschieben könnte, dann denkt an meine Zeilen und TUT ES JETZT – was morgen ist, wissen wir nämlich alle nicht.

 

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